SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Als Kind kannte ich keine Protestanten

500 Jahre Reformation – das ist 2017 das große Thema. Ein Grund zu feiern – Geburtsstunde der evangelischen Kirche. Aber auch ein Grund nachdenklich zu sein, denn damit hat die Trennung der Christen in Deutschland in Protestanten und Katholiken begonnen. Und es war weiß Gott eine harte Trennungsgeschichte. Viel böses Blut ist geflossen, leider auch im wortwörtlichen Sinne.

Ich selbst bin katholisch. Vor gut 60 Jahren bin ich mehr oder weniger in diese meine Kirche hineingeboren worden. Denn ich entstamme aus einer durch und durch rheinisch-katholischen Familie aus der damals noch recht katholischen Stadt Koblenz. So gesehen habe ich mehr als ein Zehntel der Trennungszeit zwischen Katholiken und Protestanten persönlich erlebt. Und wenn ich auf diese, von meinen persönlichen Erfahrungen abgedeckte Zeit schaue, muss ich sagen: Da ist mit der Zeit immer weniger böses Blut geflossen; im Gegenteil die Trennungsgeschichte hat sich in diesen 60 Jahren, in meiner Lebenszeit, zu einer Geschichte der Annäherung, der Versöhnung und des Miteinanders entwickelt.

Als Kind kannte ich keine Protestanten, keine Evangelischen. In der Familie gab’s keine und in der Schule auch nicht. Ich bin noch in die katholische Bekenntnisschule gegangen. Protestanten waren eine Ausnahmeerscheinung. Sie hatten fast schon etwas exotisches, sie waren eben anders. Mir ist eine Geschichte noch im Kopf. Meine Eltern haben sich im Urlaub in Bayern mit einer Familie aus Hessen angefreundet und die waren evangelisch. Und just an einem Karfreitag kamen die uns überfallartig besuchen. Die waren in ihrem Sonntagsanzug und bei uns wurde geputzt. Meine Mutter zauberte schnell für die Gäste noch einen Kuchen auf den Tisch, den wir aber gar nicht essen durften, denn an Karfreitag aßen wir als Katholiken doch keinen Kuchen. Und ich wurde - obwohl Gäste da waren – um drei Uhr nachmittags in den Karfreitagsgottesdienst geschickt. Ein bisschen schräg war das alles schon. Für unsere evangelischen Gäste aus Hessen waren wir wohl die Exoten, die an Karfreitag das Haus putzen, in Werktagsklamotten rumlaufen, keinen Kuchen essen und nachmittags die Kinder in den Gottesdienst schicken.

Abgesehen von solchen seltenen Begegnungen verbrachte ich meine Kindheit und auch Jugendzeit in einer mehr oder weniger Protestanten freien Zone. Das hat sich als Erwachsener geändert – Gott sei dank! Dazu mehr gleich nach der Musik.

 

Musik

 

Heute ist Ökumene für mich selbstverständlich

In den SWR 4 Sonntagsgedanken geht es heute um 500 Jahre Reformation und wie ich als Katholik die letzten 60 Jahre davon erlebt habe. Nach einer rein katholisch geprägten Kindheit und Jugendzeit begann ich das Studium der katholischen Theologie. Natürlich interessierte ich mich als Student auch für den Protestantismus und die evangelische Theologie. Aber eher theoretisch, wissenschaftlich. Vieles was ich dort fand, hat mich sehr angesprochen: Pfarrer dürfen heiraten, auch Frauen dürfen Pfarrer werden und ganz besonders: In der evangelischen Kirche gibt es mehr Demokratie. Die Kirchenleitungen werden gewählt und ein evangelisches Presbyterium hat viel mehr zu sagen als ein katholischer Pfarrgemeinderat. Das alles hat mir sehr gefallen. Aber wenn ich an die evangelischen Gottesdienste denke, die waren dann doch sehr befremdlich. Die lange Predigt, die unbekannten Lieder und alles sehr nüchtern.

Richtig in Berührung gekommen mit evangelischen Menschen aus Fleisch und Blut bin ich erst in meiner ersten Stelle als Seelsorger. Die war – Gott sei es gelobt – in Neuwied, einer der wenigen evangelischen Städte im Rheinland. Da habe ich sie dann endlich kennengelernt, die Protestanten. Und zwar nicht nur die von der Landeskirche, auch viele kleinere Kirchen und Gemeinden. Mit den evangelischen Pfarrern, insbesondere auch den Pfarrerinnen habe ich wunderbar zusammengearbeitet.

Heute arbeite ich wieder in meiner Heimatstadt Koblenz und die Zusammenarbeit mit meinen evangelischen Kolleginnen und Kollegen ist selbstverständlich. Große Projekte machen wir gemeinsam. Auf der Bundesgartenschau 2011 in Koblenz gab es nur eine Kirche, die von Koblenz. Ich selbst fühle mich heute in der evangelischen Florinskirche fast schon so zuhause wie in den katholischen Kirchen von Koblenz. Es ist wie bei Onkel und Tante, die um die Ecke herum wohnen. Wo man weiß, wo das Bier im Keller steht und man sich aus dem Kühlschrank auch ungefragt einen Joghurt nehmen kann. Aber man den Mülleimer nicht ausleeren muss. Und wenn man es trotzdem tut, wird man gelobt. Ein Grund mehr, warum ich gern in der evangelischen Florinskirche bin.

500 Jahre Reformation. Ob ein Grund zum Feiern oder zum Nachdenken, das kann jeder für sich selbst entscheiden. Ich möchte beides tun: Über die Trennung und das viele böse Blut, was geflossen ist, nachdenken und gleichzeitig feiern. Feiern, dass sich die Trennungsgeschichte in den letzten Jahrzehnten in eine Annäherungsgeschichte, in Versöhnung und ein ökumenisches Miteinander verwandelt hat – Gott sei es gedankt!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23931
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