Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Wenn immer es geht, sitze ich draußen unter freiem Himmel. Genieße den Blick in die Weite und denke an meine Bekannte. Die hat mich vergangenen Herbst in ihre Synagoge mitgenommen. Es war die Zeit, in der die Juden ihr Laubhüttenfest feiern.

Sie führt mich auf die Dachterrasse, wo Tische und Bänke stehen unter einem Dach von Schilfzweigen. Dann schenkt sie uns heißen Kaffee in zwei Tassen und reicht mir eine Decke für die Knie. „Weißt du, warum wir am Laubhüttenfest immer hier draußen sitzen?“- „Vielleicht sitzt ihr auch so gern unter freiem Himmel wie ich?“ sage ich. –„Nein. Wir sitzen draußen, weil wir uns an die Flucht unserer Vorfahren erinnern. Da hat uns auch kein Haus und kein Dach überm Kopf geschützt. Trotzdem haben wir es geschafft.“ –„Ich weiß, sage ich, die Geschichte steht auch in unserer Bibel. Mose hat das Volk Israel aus Ägypten ins gelobte Land geführt. Da waren sie jahrzehntelang unterwegs.“

 „Genau, meint sie. Heute dürfen wir in sicheren Häusern wohnen und haben ein Dach über dem Kopf. Aber das ist nicht selbstverständlich. Wären wir woanders geboren, in Syrien zum Beispiel, müssten wir jetzt auch fliehen und unter freiem Himmel übernachten. Wir hier haben nur Glück gehabt.“

Sie schenkt mir noch einmal Kaffee ein und wir schauen nach oben. Am Himmel haben sich Regenwolken zusammengezogen und  es tröpfelt. Eigentlich würde ich gerne gehen, traue mich aber nicht, aufzustehen. „Es gibt keine absolute Sicherheit für uns. Sagt sie. Sicherheit ist immer so löchrig wie dieses Schilfdach. Aber wir machen uns deshalb nicht verrückt. Wir werfen unser Vertrauen in den Himmel. Und hoffen, dass Gott uns beschützt. Und uns Menschen schickt, die uns helfen, wenn wir mal wieder eine Wüste durchqueren müssen. Gibt’s ja genug.“

Seit jenem Nachmittag denke ich oft an meine Bekannte. Besonders wenn ich unter freiem Himmel sitze. „Wir lassen uns nicht verrückt machen. Wir schauen in den Himmel und vertrauen auf Gott.“ Schön, dass es jetzt wieder wärmer wird. Da kann man morgens die erste Tasse Kaffee draußen trinken. Und sein Vertrauen in den Himmel werfen.

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