SWR2 Zum Feiertag

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Martin Wolf im Gespräch mit Pfarrer Volker Sehy, Direktor des Geistlichen Zentrums Maria Rosenberg in Waldfischbach-Burgalben. 

Herr Sehy, sie sind Direktor des geistlichen Zentrums Maria Rosenberg in der Pfalz. Wie feiern Sie denn diesen Tag Karfreitag dort? 

Mit vielen Gottesdiensten, wie jedes Jahr, und auch mit viel Stille und viel Schweigen. Um 11 Uhr zum Beispiel werden wir den Kreuzweg gehen und da kommen viele Leute aus der Umgebung, weil es ein sehr besonderer Kreuzweg ist, den wir da ablaufen. Wir haben nämlich Stationen aus Sandstein im Freien, 14 Stationen, und gehen dann so den letzten Weg Jesu ab, meditativ, mit biblischen Texten, mit Gebeten, mit viel Stille. Und ich merke jedes Jahr, wie die Leute da auch innerlich in Bewegung kommen, wenn sie sich so äußerlich auf den Weg machen und sich fragen: Was hat der letzte Weg Jesu zu tun mit meinem eigenen Weg. Und dann der Höhepunkt um 15 Uhr: Die große Liturgie, so wie es offiziell heißt, vom Leiden und Sterben Jesu, und da ist unsere Wallfahrtskirche gesteckt voll mit Menschen und die Stille dort, die haut mich eigentlich jedes Jahr um. Und im Mittelpunkt des Gottesdienstes, nach der Verlesung der Passion nach Johannes, die Kreuzverehrung. 

Sie sagen jetzt, das ist der Mittelpunkt des Gottesdienstes am Karfreitag in der katholischen Kirche. Nun wird ja ein Folterinstrument verehrt. Das Kreuz ist ein antikes Folterinstrument. Warum hat es diese zentrale religiöse Bedeutung? 

Weil der, von dem wir Christen glauben, dass er der Messias ist, der Gesandte Gottes, der Sohn Gottes sogar, der ist auf diese schreckliche Weise gestorben. Und im Alten Testament gibt es einen Vers, wo es heißt: Verflucht ist, wer am Kreuze hängt. Und damit mussten die ersten Christen irgendwie umgehen, also auch sich rechtfertigen. Nicht nur vor den Juden, auch vor den Heiden, die das lächerlich gemacht haben: Ja, euer Heilsbringer, der stirbt diesen schrecklichen Tod, den nur die schlimmsten Verbrecher sterben. Also, die frühen Christen schon mussten sich die Frage stellen: Ja, wie können wir das rechtfertigen? Wie kann das sein? Und es ist tatsächlich ein Folterinstrument und es bleibt eins, auch wenn wir uns in vielem dran gewöhnt haben, ja, dass an den Straßenecken und in vielen Häusern da ein Kreuz ist mit einem toten Menschen dran. Und genau das geschieht ja auch am Karfreitag selbst.

Ich denk dann immer nicht nur an diesen einen Jesus von Nazareth, der diesen schrecklichen Tod starb, sondern ich denke an die Gefolterten, die es seit Jesus bis heute immer wieder gibt. Und das geht mir auch dann unter die Haut. Ich erinnere mich, dass Pontius Pilatus, so erzählt es der Evangelist Johannes, nicht den Gekreuzigten, aber den Gefolterten, mit einer Dorne Gekrönten und Gegeißelten, dem Volk präsentiert hat und gesagt hat: Ecce homo, das heißt: Seht, das ist der Mensch. Und zwar eben nicht nur dieser Mensch aus Nazareth, sondern hier steht der verstümmelte syrische Junge, hier steht das verhungernde sudanesische Mädchen, hier steht der nigerianische Vater, dessen Kinder ermordet worden sind, hier steht der Aidspatient, hier steht das Unfalloper, hier steht das missbrauchte Kind. Hier steht der Mensch, der leidet und der so leicht übersehen wird. 

Wenn Sie mit den Menschen ins Gespräch kommen, die im Karfreitagsgottesdienst sind, die das Kreuz verehren. Was sagen ihnen diese Menschen, was das für sie ganz persönlich dann bedeutet? 

Ich bin ja hier in der Westpfalz und wir Westpfälzer sind, gerade wenn es um so persönliche Dinge geht, nicht immer die aller Gesprächigsten. Aber ich krieg das mit bei der persönlichen Kreuzverehrung. Ich fang als erster an und ich tue etwas, was so ein alter Brauch ist in der Katholischen Liturgie. Ich ziehe meine Schuhe aus. Und das ist für mich ein sehr wichtiges Zeichen, denn: Es zieht mir die Schuhe aus, wenn ich mir vorstelle, der Sohn Gottes, der Gott so nahe war, dass wir eben sagen, er ist der eingeborene Sohn Gottes, der fühlt sich von Gott verlassen. Aber das Kreuz und der Gekreuzigte sagt mir: Ich geh auch mit dir da durch! Ich geh mit dir in diese Ferne von Gott und ich unterfange diese Ferne.

Und ich sehe dann die Leute, die sich mir anschließen und es dauert immer unglaublich lange, diese Kreuzverehrung, weil die Menschen, die auf den Rosenberg kommen ja auch jeder und jede so ihre Weise findet, das Kreuz zu verehren. Manche knien einfach nur davor. Manche küssen den Kopf dieser Skulptur des gekreuzigten Jesus. Manche küssen die Füße und es gibt auch Leute, die weinen, weil ich glaub, dass auch alle spüren: Jesus ist gestorben für mich. Er ist nicht nur ein wunderbarer Lehrer, der mir Tipps gibt, wie ich gut leben kann, sondern er unterfängt auch meine Dunkelheiten und meine Nächte und mein Gefühl der Gottferne. Er trägt das mit und er trägt mich dadurch. 

Das klingt zunächst natürlich paradox: Ein Folterinstrument, das aber trotzdem für die Menschen, die dort zur Kreuzverehrung kommen, etwas Tröstliches zu haben scheint. 

Ganz genau. Etwas sehr Tröstliches, auch wenn sie es nicht immer so in Worte fassen können. Es ist ja nicht von ungefähr so, dass viele sich auch ein Kreuz um den Hals hängen, oder ein Kreuz auch in ihrem Auto haben und ich will das gar nicht verurteilen und sagen: Ja, das ist ja Aberglaube oder so ein Talismann. Nein, ich glaube, viele halten sich daran fest und sagen: Du bist der Gott mit mir und der Gott für mich. Das ist ja eigentlich die Botschaft des Karfreitags. Gott mit mir, Gott für mich in Jesus von Nazareth. 

Nun ist ja die zentrale Botschaft des Christentums die Überwindung des Todes. Es ist etwas, das wir im Osterfest feiern, also übermorgen. Entwertet das nicht gewissermaßen diesen Karfreitag, wenn doch eigentlich alles hindrängt auf die Überwindung des Todes in der Osternacht. 

Der Tod bleibt präsent. Auch an Ostern. Und das Zeichen dafür ist, jetzt bei uns in der Wallfahrtskirche, dass an Ostern auch noch das Kreuz dasteht, allerdings geschmückt. Also, ich muss weiterhin dieses Folterinstrument anschauen. Aber ich kann eben durchschauen und sagen und erkennen: Das ist ein Zeichen der Nähe Gottes geworden. Und Gott hat angenommen, was Jesus am Kreuz für uns getan hat. Er hat es gewissermaßen bestätigt. 

Lassen sie uns nochmal auf den Karfreitag schauen als Tag. In der deutschen Gesetzgebung, auch in allen Bundesländern in der Bundesrepublik gilt der Karfreitag ja als sogenannter stiller Tag. Das heißt, dass heute zum Beispiel öffentliche Tanzveranstaltungen verboten sind. Was denken Sie? Ist das noch zeitgemäß? 

Ich persönlich bin sehr dankbar, dass der Karfreitag ein eher stiller Tag ist. Aber ich nehme natürlich auch wahr, dass nicht alle den Karfreitag mit den Christen zusammen feiern. Wenn ich unterwegs bin zum Gottesdienst und sehe dann an dem Fasttag, der er ja für Katholiken ist, Leute dann ihr Eis schlecken und in den Wallfahrtsanlagen herumlaufen -  ja, das ist einfach die Realität. Und was die Gesetzgebung angeht: Es kommt, wie es kommt. Natürlich wünsche ich mir, dass es so bleibt, weil es angenehmer ist, im Grunde einen stillen Tag zu begehen. Wichtig ist, dass wir Christen den Karfreitag feiern, so, dass wir selber spüren und erfahren: Gott mit uns, Gott für uns. Aber dass wir gewissermaßen, die, die das nicht mitfeiern können oder wollen oder davon gar nix wissen, einfach in unserm Innern mit hineinnehmen und sagen: Gott ist für alle gestorben in Jesus Christus und für sie beten, egal, wie es kommt. 

Nun leben wir aber nichts desto trotz natürlich in einer Welt und in einer Gesellschaft, die geprägt ist von der Suche nach Spaß, der Suche nach Freude. Die geprägt ist von Optimismus, von Wachstum, von Optimierungsfantasien. Welchen Sinn kann diese Botschaft des Karfreitags, von der wir jetzt gesprochen haben, in diese Welt hinein denn noch machen? 

Die Botschaft des Karfreitags lautet für mich: Schau dir die Welt wirklich an, wie sie ist. Und da ist eben nicht alles auf Wachstum eingestellt und nicht alles ist optimierbar, sondern wir sind sterblich und wir haben unsere Grenzen und wie gehen wir damit um? Nicht in einer unmenschlichen Art und Weise, dass Leute dann instrumentalisiert werden, oder zwangsoptimiert werden, sondern das Kreuz sagt mir: Es gibt das Leid, aber das Leid ist nicht das Letzte. 

Das heißt, zum Schluss gesagt, das Kreuz, das Foltersymbol, von dem wir jetzt mehrfach gesprochen haben, als Hoffnungszeichen?  

Absolut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23879
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