SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ein Navi im Verkehr ist hilfreich, ein Kompass unterwegs oder gar im Dschungel erst recht. Entsprechend können Merksätze einen den ganzen Tag begleiten, sogar eine Woche oder das Leben. Ein Satz der Bibel zum Beispiel, ein treffender Kalenderspruch, und natürlich ein Lebenswort aus eigenen Erfahrungen und Beziehungen. Zusammen mit der Bibel sind die Biographien und Texte von Heiligen eine wahre Fundgrube dafür. Ein erstes Beispiel heute, eine Maxime, an der man ein ganzes Leben lang knabbern kann und zu kauen hat: „Wenn Sie keine Liebe finden, dann bringen Sie Liebe, und Sie werden Liebe finden“! Der Satz stammt vom Johannes vom Kreuz, dem katholischen Reformator und  jüngeren Zeitgenossen Martin Luthers, einem der größten Dichter spanischer, genauer kastilischer Sprache und einer der großen Glaubenslehrer ohnehin. Eine Schwester aus seinem Orden hatte ihm schriftlich ihre Not geklagt. Sie litt unter ihren schwerfälligen, reformunwilligen Mitschwestern. Sie  fühlte sich  gemobbt. Johannes vom Kreuz schreibt ihr: „Ja, es ist schrecklich, in die Hände von Menschen zu fallen. Aber wenn Sie keine Liebe finden, dann bringen Sie Liebe, und Sie werden Liebe finden!“ Das schreibt einer, der selbst viel in seinem Orden und an ihm gelitten hat: Monatelange Dunkelhaft mit Quälerei, ja Folter bei seinen Mitbrüdern, innerkirchliche Scherereien von Anfang an. Am Schluss wollten sie diesen unbequemen  Johannes vom Kreuz, den  Gefährten und Schüler von Teresa von Avila, sogar nach Mexiko ins Exil abschieben. Aber zuvor starb er, schlecht versorgt und menschlich allein gelassen. Aber kein Wort der Bitterkeit gibt es in seinen Schriften, kein Wort der Anklage und Verurteilung anderer. Nur diesen  unglaublichen Satz: „Wenn Sie keine Liebe finden, dann bringen Sie Liebe….“ Das heißt dann z.B.: nicht mit gleicher Münze zurückbezahlen und stattdessen zur Entfeindung beizutragen. Verhärtete Fronten und Herzen aufweichen durch offensive Empathie und freigebendes Wohlwollen. . 

Aber mit Verlaub: Woher diese Liebe nehmen, die man bringen soll? Aus welchen Quellen schöpfen, wenn es gilt, so einseitig und, wortwörtlich, zuvorkommend stets den ersten Schritt zu tun und Liebe zu bringen? Für Johannes  ist klar: Nur wer aus der Quelle Christi schöpft, kann solches Lebenswasser weiterreichen. Nur wer sich selbst rückhaltlos geliebt weiß, kann derart lieben , sonst überfordert und unterfordert  er sich.  Authentisches Christsein  ist dann nichts anderes als das Weiterströmenlassen dieser Gottesliebe zum Nächsten hin, gerade  zum ärgerlichen, zum störenden, zum feindlichen Nächsten hin. Nur so wird schließlich das Angesicht der Erde erneuert. Ist das nicht gerade in diesen Zeiten hoch aktuell, wo selbst führende Personen in der Weltpolitik Entzweiung predigen, Gräben aufreißen und Feindbilder stärken?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23709
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