SWR4 Sonntagsgedanken

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Teil 1: Sind sie glücklich?

Na, wie geht’s Ihnen? Geht's gut? Ich weiß oft gar nicht, was ich darauf antworten soll. Will der andere wirklich wissen, wie's mir geht? Oder doch nur freundlich zum Smalltalk übergehen? Andererseits wäre es schon ziemlich komisch, wenn ich begrüßt würde mit den Worten „Sind Sie glücklich?“. Das wäre mir dann doch etwas zu direkt. Das ist eher was für große anonyme Umfragen, wie sie Meinungsforscher machen. Es gibt zum Beispiel den „Glücksatlas“, den die Deutsche Post schon zum wiederholten Mal erstellt hat – zusammen mit Wissenschaftlern. Das Ergebnis: Die Deutschen sind derzeit so glücklich und zufrieden, wie schon seit zehn Jahren nicht mehr. Allen anderen gefühlten Wahrheiten zum Trotz. Wissenschaftlich erwiesen ist, dass in Sachen Lebenszufriedenheit wir Deutschen kaum Grund zur Klage haben. Im internationalen Vergleich sind wir ein paar Plätze seit der letzten Umfrage geklettert, nun auf Platz 9 von 33. Die glücklichsten Deutschen leben demnach in Schleswig-Holstein. Rheinland-Pfälzer, Badener und Württemberger sind im unteren Mittelfeld zu finden. Die Badener etwas zufriedener als die Württemberger und diese etwas glücklicher als die Rheinland-Pfälzer. Im Durchschnitt, versteht sich. Persönliche Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber was macht es aus, glücklich zu sein? Wann bin ich glücklich? Da spielt die Familie eine große Rolle: Weit mehr als Zwei-Drittel der jungen Deutschen sehen Kinder als sehr wichtigen Bestandteil eines erfüllten Lebens. Menschen in einer Partnerschaft sind glücklicher als Alleinstehende, verheiratete Paare stehen oben an. Und die kulturelle Offenheit spielt eine Rolle. Tolerante Menschen sind nach dieser Studie deutlich zufriedener als intolerante Menschen. Wer hätte das gedacht?! In anderen Studien wird festgestellt, dass religiöse Menschen glücklicher sind als nicht-religiöse. Sie haben in der Krise mehr Halt. Ob jemand persönlich glücklich und zufrieden ist, hängt natürlich von vielen Umständen ab: beruflich, partnerschaftlich, wie ich wohne, meine Freizeit gestalte, ob ich gute Freunde habe und von vielem mehr. Glücklich sein wollen wir alle. Aber es gilt nicht die Regel: Je mehr, je besser. Diejenigen, die viel besitzen, im Beruf weit gekommen sind, einen großen Freundeskreis und ein dickes Konto haben, sind nicht zwangsläufig die glücklichsten. Auch wer wenig hat, kann glücklich sein; selbst wer nicht ganz gesund ist, kann alles in allem doch glücklich sein. Auf die Haltung kommt es an. Glücklich ist, wem das gelingt; der ist wirklich beschenkt. Denn klar ist: Auch mit allem Geld der Welt kann ich Glück nicht kaufen. Wer heute Morgen in einen katholischen Gottesdienst geht, der hört aus der Bibel einen Text, der so etwas wie eine „Anleitung zum Glücklichsein“, zur Glückseligkeit ist: Jesus sagt da: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.“ Und er nennt noch weitere. Das klingt schon seltsam! Ich mache da ganz andere Erfahrungen: Von wegen selig sind die Trauernden. Oder selig sind die Sanftmütigen. Daran haben sich schon viele Menschen gestoßen, auch Theologen. Heinrich Fries hat einmal ziemlich provokativ „Anti-Seligpreisungen“ formuliert: „Verraten sind die Armen, denn sie haben nichts einzubringen. Verraten sind die Leidtragenden, denn sie sind ausgeschlossen aus der Gesellschaft. Verraten sind die Sanftmütigen, denn sie werden an die Wand gedrückt werden. Verraten sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn Macht geht vor Recht und Geld regiert die Welt.“ Und so weiter. Und doch haben die „Seligpreisungen“ aus der Bergpredigt von Jesus durch viele Jahrhunderte die Menschen beschäftigt. Der Papst hat diese Seligpreisungen vor kurzem in einer Predigt den „Personalausweis“ der Christen genannt. Für Christen soll eben gerade nicht das scheinbar Unabänderliche gelten, nicht das Gesetz des Stärkeren, das Geschrei der Lautesten. Auch nicht die Sorge, immer zu kurz zu kommen, andere als Sündenböcke abstempeln zu müssen, um selbst besser da zu stehen. Die Seligpreisungen kann ich missverstehen als Katalog von Anforderungen und Bedingungen: Selig seid ihr, WENN... - Also NUR wenn ihr dies und jenes leistet, erfüllt, tut, dann...

Ich glaube aber, so sind sie nicht gemeint. Ich verstehe die Worte Jesu als Zusage: Komm, ich zeig dir, wie du glücklich werden kannst: in deinem Leben, mit deinen Möglichkeiten! Versuch es mit Barmherzigkeit, mit Geduld, mit Verzicht auf das immer Mehr, das dich doch am Ende nur krank macht. Klammere dich nicht an das, was du doch nicht halten kannst. Der Papst hat in seiner Predigt den bekannten Seligpreisungen Jesu noch ein paar aktuelle hinzugefügt. Zum Beispiel: „Selig, die den Ausgesonderten und an den Rand Gedrängten in die Augen schauen und ihnen Nähe zeigen. Selig, die Gott in jedem Menschen erkennen und dafür kämpfen, dass andere auch diese Entdeckung machen.“ Das ist kein Wenn–Dann-Automat. Das ist eine Einladung, es mal anders zu probieren, um so frei und glücklich zu werden. Auch heute. Gerade heute

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