Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Da soll einer sagen, man kann von früher nichts lernen. Ich glaube, man kann lernen aus der Geschichte. Z.B. wie es vielen Menschen geht, die auswandern. Wie groß bei vielen das Bedürfnis ist, möglichst viel „alte Heimat“ in die neue hinüber zu retten.

Mir ist das klar geworden an den Württembergern und Badenern, die nach Amerika ausgewandert sind. Gerade 1816/17, vor 200 Jahren, sind unheimlich viele geflohen. Sie hatten nach einem „Jahr ohne Sommer“ und Ernte nichts mehr zu essen.

In Amerika haben sich viele zusammengetan, haben eigene Stadtviertel und Dörfer gegründet. Carl Theodor Griesinger, ein deutscher Theologe und Schriftsteller hat das in New York gesehen. Er schreibt:

„Im ‚Deutschländle‘ hier sind nicht weniger als 70-75000 Köpfe auf einem Fleck eingebürgert und sesshaft. Es geht so deutsch zu wie in Deutschland selbst. Der Bäcker ist so gut deutsch wie der Metzger und der Metzger so gut wie der Apotheker auch der Pfarrer ist hier deutsch.... Sogar eine deutsche Leihbibliothek trifft man. Wer also in Kleindeutschland wohnt, braucht keine Silbe englisch zu verstehen und kommt doch vorwärts.“

Innerlich und äußerlich haben die Flüchtlinge ihre alte Heimat festgehalten. Deutsch essen und reden, deutsch beten und singen. Wenn Hunger und Not Menschen zu Flüchtlingen machen, das ist für viele anscheinend so hart, dass sie sich nicht ganz anpassen können. Sie brauchen ein Stück Heimat.

Ich glaube, es ist wichtig, dass ich das im Kopf behalte, wenn ich Flüchtlingen jetzt begegne. Viele brauchen das: Anders essen können, ihre Sprache auch pflegen. Anders beten. Anscheinend müssen sie alte Heimat bewahren können, damit sie hier mit uns zusammen neue Heimat finden.

Ich vermute, wenn ich in so einer Situation wäre, für mich wäre mein Glaube besonders wichtig. Die Bibel auf Deutsch lesen zu können. Oder Weihnachten, „o Du fröhliche“ singen, aus vollem Herzen. Überhaupt Bücher auf Deutsch. Ohne würde ich würde wahrscheinlich eingehen in der Fremde wie eine Primel.

Andererseits brauchen Flüchtlinge klare Signale für Integration. Das zeigt die Geschichte der Deutschen in Amerika auch sehr schön. Die deutsche Community hat in den Anfängen der USA mal gefordert: Alle Gesetze sollen zweisprachig sein: Englisch und deutsch. Das hat der Kongress abgelehnt. Begründung: „Sie sollen Englisch lernen. Sie sollen ankommen in der neuen Heimat.“ Allerdings: Bis Flüchtlinge ganz ankommen, das dauert, und dazu kommt es auch sehr auf die Einheimischen an.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23558
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