SWR4 Sonntagsgedanken

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Partnerschaft - die Kunst, die Blance zu halten

Immer wieder habe ich mit jungen Paaren zu tun, die heiraten möchten. Einen Tag lang nehmen sie sich Zeit für sich und ihren Partner und beschäftigen sich damit, was sie von einander erwarten. Sie überlegen sich, was eine Partnerschaft ausmacht und wie ihre Beziehung gut werden kann.

Die Vorstellungen der Paare sind ganz unterschiedlich: Für die einen gehört zu einer guten Beziehung, sich zu fetzen und auch mal heftig zu streiten; andere halten das für ungut. Manche betonen die gemeinsamen Interessen und wollen möglichst viel zusammen erleben; anderen ist es wichtiger, dass jeder für sich sorgt und seinen Freiraum hat. Es zeigt sich dann schnell, dass es weder das eine noch das andere Extrem ist: Alles gemeinsam zu tun, fördert eine Partnerschaft ebenso wenig, wie wenn jeder nur die eigenen Wege geht. Nähe und Distanz sollten gut ausbalanciert sein. Ebenso Streit und Harmonie. Das ist wie in der Musik: sie wird erst richtig interessant, wenn sie nicht nur harmonisch und auch nicht nur dissonant klingt. Die Mischung macht‘s. Genauso ist es in der Partnerschaft: zu viel Streit schadet, zu wenig aber auch. Wer immer nur friedlich und höflich ist, fördert einen falschen Frieden, eine „Friedhöflichkeit“, die – wie der Name schon sagt – Beziehungen sterben lässt. Ideal ist ein Mittelweg: Wer sich ab und zu konstruktiv und fair streitet, macht sich Luft und klärt die Fronten.

Den Paaren fallen meist noch mehr Dinge ein, die gut ausbalanciert sein sollten und die zu einer guten Beziehung gehören: So sollte jeder die Stärken und Schwächen des anderen gleichermaßen annehmen. Keinem tut es gut, ständig auf seine Schwächen angesprochen zu werden. Und wer ständig idealisiert wird, muss hohen Erwartungen genügen. Auch das geht auf Dauer schief. Eine Beziehung gelingt eher, wenn beide Partner um ihre Ecken und Kanten wissen, aber auch darum, was den anderen auszeichnet und besonders macht. Beziehungen leben außerdem davon, dass die Partner einbringen können, was sie von früher her geprägt hat, Werte und Vorstellungen aus ihrer Familie, die sie leben und vielleicht sogar an ihre Kinder weitergeben möchten – und die decken sich ja nicht immer mit denen, die der andere mitbringt. Gleichzeitig darf das aber nicht alles sein: Es sollte auch genug Platz bleiben für das, was die Partner gemeinsam entwickeln. Auch hier kommt es darauf an, einen guten Mittelweg zu finden.

Ich bitte die jungen Paare in solchen Gesprächen oft, ihre Gedanken auf den Punkt zu bringen und in wenigen Worten zu sagen, was ihre Beziehung tragfähig machen könnte. Meist staunen sie dann nicht schlecht: sie wählen nämlich oft genau die Worte, die das kirchliche Trauversprechen vorsieht. Das Miteinander gelingt, wenn der eine den anderen annimmt – so wie er ist als Mann und Frau mit allen Eigenheiten, wenn sich die Partner lieben, achten und ehren, wenn sie also respektieren, was jeder aus seiner Familie so mitbringt. Und das alles nicht nur heute, wenn es gerade passt, sondern langfristig: in guten und schlechten Tagen.

Obdach für die Seele

Heute wird in den Kirchen der Familiensonntag gefeiert. In meinen Sonntagsgedanken habe ich eben überlegt, was eine gesunde Partnerschaft ausmacht. Eine Beziehung ist tragfähig, wenn es den Partnern gelingt, einige Dinge gut auszubalancieren, zum Beispiel Nähe und Distanz oder Streit und Harmonie, auch Festhalten und Loslassen, Reden und Schweigen oder Annehmen und Verändern.

Ich denke da oft an eine Sage aus der griechischen Mythologie. Sie erzählt von Philemon und Baucis, einem Pärchen, das zusammen alt geworden ist und es offenbar geschafft hat, eben jene Balancen zu halten. Die beiden sind arm, aber das stört sie nicht weiter, denn sie haben ja sich. Eines Tages klopfen zwei Männer an der Tür. Philemon und Baucis bitten sie herein und bieten ihnen von dem Wenigen an, das sie haben. Als sich der Weinkrug immer wieder füllt, erkennt das Paar seine Gäste: es sind Zeus, der Göttervater, und Hermes, sein Bote. Philemon und Baucis schämen sich, weil sie nicht mehr aufgetischt haben, doch die Götter sind zufrieden. Sie belohnen die beiden. Das Paar wünscht sich aber keinen Reichtum, wie man vermuten könnte! Es geht ihnen um ihre Partnerschaft. Sie wünschen sich, dass sie noch etwas Zeit miteinander verbringen können und dann gemeinsam sterben. Keiner soll den anderen vermissen müssen. Die Götter erfüllen den Wunsch und als es soweit ist, werden Philemon und Baucis in zwei Bäume verwandelt.

Mich berührt an dieser Geschichte, wie eng die beiden miteinander verbunden sind. Ihre Partnerschaft ist tragfähig und das offenbar nicht durch Äußerlichkeiten. Sie lieben und achten, ehren und respektieren sich. Und das strahlt aus: trotz ihrer äußeren Armut nehmen sie ihre Gäste selbstverständlich auf. Weil sie als Paar gefestigt sind und weil ihre Beziehung in der Balance ist, können sie für andere da sein.

Was mich da so fasziniert, hat der Theologe Paul Michael Zulehner einmal ganz gut auf den Punkt gebracht. Er hat gesagt, dass Menschen ein „Obdach der Seele“ brauchen, einen Raum, der stabil ist und von Liebe getragen, wo sie Wurzeln schlagen und wachsen können, weil sie angenommen sind, ohne etwas leisten zu müssen. Zulehner meint damit Partnerschaft und Familie. Philemon und Baucis sind für mich insofern nicht nur ein Idealbeispiel dafür, wie tragfähig Beziehungen sein können. Sie haben für mich ihr „Obdach der Seele“ gefunden, eine Liebe, die ausstrahlt, einen Raum, der so stabil und groß ist, dass er sogar Platz für andere hat; in diesem Fall für die beiden Fremden.

Partnerschaft trägt, wenn sie gut ausbalanciert ist, stabil und von Liebe getragen. Dann kann sie sogar Heimat für die Seele werden, für die eigene, für die vom Partner, für die anderer Menschen oder vielleicht sogar von Kindern. Damit das gelingen kann, müssen sich die Partner gut kennen, sich um den anderen bemühen und immer wieder offen miteinander sprechen. Sie sollten sich aber auch hin und wieder direkt sagen, was sie an sich schätzen. Denn sich über Partnerschaft zu verständigen, ist das eine. Dem anderen direkt zu sagen, warum gerade er der Richtige ist, etwas ganz anderes.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23492
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