Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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 Was ist gerade das Top-Thema in Ihrem Ort? Was beschäftigt die Bürger gerade? Die Zukunft der Stadtbibliothek? Der Bau einer neuen Stadthalle? oder die Beschallung auf dem Weihnachtsmarkt?

Vor rund 500 Jahren gab es in vielen Städten im Südwesten ein ganz anderes Top-Thema: den Glauben an Gott. Genauer die Frage: Soll man beim althergebrachten Glauben bleiben? Oder soll man sich dem neuen, dem evangelischen Glauben Martin Luthers anschließen? – Das hat nicht nur ein paar wenige, besonders religiöse Menschen beschäftigt. Das hat alle bewegt.

In vielen Städten, waren die meisten Menschen für den neuen Glauben. Luthers Bücher waren Bestseller. Anders als die Bauern auf dem Land konnten viele Bürger in den Städten lesen. Und sie haben den Buchdruckern Luthers Schriften regelrecht aus den Händen gerissen. Man hat sich in den „Trinkstuben“ – so hießen damals die Kneipen – getroffen. Und bei einem Humpen Bier hat man dann über den neuen Glauben diskutiert. Bald hat es auch Pfarrer, Priester und Mönche gegeben, die von Luthers neuen Gedanken überzeugt waren. Sie haben dann auch in den Kirchen im Sinne Luthers gepredigt. – Die Reformation war damals eine Bürgerbewegung.

Oft waren es die Politiker, die auf die Bremse getreten haben. Denn Glaube und Politik waren damals eng miteinander verbunden. Da hat man sich als Stadtrat oder Bürgermeister schon genau überlegen müssen, ob man evangelisch wird. Denn damit hat man sich gegen den mächtigen Kaiser gestellt. Aber der Wille der Bürger hat in vielen Fällen dann auch die Politiker überzeugt: In Ulm zum Beispiel gab es im November 1530 einen Bürgerentscheid. Mit sehr großer Mehrheit haben sich die Ulmer dafür entschieden, evangelisch zu werden.

Aber warum wollten die Leute das? Warum war der neue Glaube so ein großes Thema für sie. Ich glaube, aus zwei Gründen. Die Menschen damals hatten eine brennende Frage: Was muss ich tun, damit ich in den Himmel und nicht in die Hölle komme? „Du musst gar nichts tun“, hat Luther ihnen gesagt, „Gott schenkt dir den Himmel. Das kannst Du einfach glauben“. Das haben Viele als große Befreiung empfunden.

Und dann gab es noch einen Grund. Die Menschen in den Städten waren gebildet, und sie wurden immer selbstbewusster. Sie wollten sich nicht mehr von der Kirche sagen lassen, was sie zu glauben hatten. Sie wollten sich selbst ein Bild machen und selbst entscheiden. Luther hat ihnen das vorgemacht: Wichtiger als Kirche und Kaiser ist das, was Gott und das eigene Gewissen einem sagen. Und das hat den Menschen in Ulm und in anderen Städten, sehr eingeleuchtet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=23219
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