Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Da braucht es sehr viel Fingerspitzengefühl“ sagen wir, wenn es darum geht etwas Filigranes zu bearbeiten, da wo eher feinmotorisches statt grobmotorisches Handeln gefragt ist. Im ganz praktischen Bereich, beim Optiker zum Beispiel, wo die Schrauben winzige Schräubchen sind, die es einzudrehen gilt,  -  wie im übertragenen Sinne, wenn es um unser menschliches Miteinander geht.

Da hat dieses Fingerspitzengefühl etwas mit Einfühlungsvermögen und Taktgefühl zu tun. Wie verhalte ich mich angemessen und feinfühlig in schwierigen Situationen? Wie taste ich mich behutsam und respektvoll an jemanden heran, weil ich ihn besser verstehen möchte, ohne übergriffig zu werden?

Fragen, die mich nicht hinsichtlich der schwierigen politischen Konflikte unserer Tage beschäftigen, oder in unseligen Fernsehdiskussionen bei denen ich mir oft etwas mehr Fingerspitzengefühl und respektvollen Umgang wünschte - Sondern auch im ganz privaten Bereich.

Ein Beispiel dazu. Diesen Sommer habe ich eine Freundin besucht, die ich vor zwanzig Jahren das letzte Mal gesehen hatte. Unser Kontakt in der Zeit dazwischen war mehr als lose. Trotzdem haben wir uns sehr gewünscht, uns wiederzusehen.. Mir war mulmig – wie würde das werden – ob wir uns noch was zu sagen haben, nach all der Zeit – würde es ein oberflächliches Geplänkel geben oder würden wir uns trauen, etwas tiefer einzusteigen? Die Begrüßung war herzlich, vieles vertraut und doch hat es hat eine Weile gedauert bis wir uns vorsichtig auf das, was uns wirklich in der Zwischenzeit umgetrieben hatte  zubewegen konnten. Was kann ich fragen – was lasse ich besser unangetastet, wenn sie nicht von sich aus darüber sprechen möchte? Zum Beispiel die Trennung von ihrem Mann.

Und was von mir mag ich zeigen oder zumuten?

Was gilt es in solchen Gesprächen als Grenze oder Geheimnis zu respektieren, an dem nicht gerüttelt werden darf, weil es diesem Menschen gehört und nur ihm?

Vielleicht kennen Sie das ja in ähnlicher Form und wissen um den manchmal schmalen Grat auf dem sich so ein intensives Gespräch bewegt -  und kennen das tiefe Gefühl, der Dankbarkeit, wenn es gelingt, sich in einander einzufühlen und einander zu begegnen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22976
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