SWR4 Sonntagsgedanken

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Teil 1: Endlich sagt's mal jemand

Endlich sagt's mal jemand! Das ist so ein Satz, der mir in den Ohren klingt. Eigentlich ist das ja was Gutes. Endlich sagt's mal jemand. Das, was nötig ist. Und achtet nicht darauf, ob das nun beklatscht wird oder nicht. Weil’s halt gesagt werden muss. Den Satz höre ich immer wieder in anderem Zusammenhang: Da wird einfach mal behauptet: „Das Boot ist voll“, Deutschland verhalte sich wie „das Sozialamt der Welt“ oder „Die“ – gemeint sind die Asylbewerber und Flüchtlinge – „Die haben's gut, und wir haben's schlecht“. Da wird unterstellt, dass wir in Deutschland unterdrückt würden. Von einer Medienmacht, von der Regierung, von Leuten, die sich verschworen haben, um die Wahrheit nicht ans Licht kommen zu lassen. Wenn ich dann näher hinschaue, sehe ich eher das Gegenteil: Diejenigen, die am lautstärksten behaupten, dass man dieses oder jenes nicht sagen dürfe, sind es ja gerade, die ohne Pause ihre Behauptungen, Beschwörungen und Beschimpfungen rausposaunen. Endlich sagt's mal jemand? - Wie bitte?

Mit Argumenten kommt man einer solchen Stimmung schlecht bei. Zahlen werden nicht überzeugen, die eindeutig zeigen, wie verhältnismäßig gering etwa der Anteil der Geflüchteten bei uns im weltweiten Vergleich ist; wie wohlhabend die allermeisten Deutschen im Vergleich zu anderen sind; wie friedlich, problemlos und integriert die allermeisten Ausländer bei uns leben. Das wollen die Leute nicht hören, die ihr Urteil schon gefällt haben und ihrem Gefühl und ihrem kleinen Kosmos mehr vertrauen als den globalen Fakten. Dialog und Verständigung ist da kaum möglich. Beispiel: Tag der Deutschen Einheit in Dresden. Die übergroße Mehrheit hat friedlich gefeiert. Aufmerksamkeit haben die Störer bekommen. Das ist eben so. Je lauter da palavert wird, desto stummer werden oft die, die Tag für Tag andere Erfahrungen machen: Die erleben und mithelfen, wie Integration tagtäglich und unspektakulär gelingt. Aber das ist dann keine große Nachricht. Muss es auch nicht sein, weil es die Regel und nicht die Ausnahme ist. Populisten brauchen die Provokation. Gut, dass es auch anders geht. Etwa die deutschen Bischöfe. Die haben mal zur Flüchtlingsdebatte unmissverständlich erklärt: "Das Merkmal einer christlichen Identität ist die Nächstenliebe". Klingt normal? Zu wenig spektakulär? Dann konkreter: "Wer die christliche Prägung nur deshalb hochhält, um Menschen anderer Kulturen und Religionen fern zu halten, missbraucht und entwertet das Christentum", hat Erzbischof Stefan Heße aus Hamburg klargestellt. Und ich hab‘ gedacht: Endlich sagt's mal jemand!

Teil 2: Hoffnung statt Hass, gelegen oder ungelegen!

In den Sonntagsgedanken möchte ich heute mal eine Lanze brechen für alle, die das sagen, was kaum beachtet wird, weil es viel zu normal scheint.

Wenn ich an die Berichte über Geflüchtete bei uns denke, dann ist da oft von Problemen die Rede. Und von denen, die Probleme machen. Mal sind es die Geflüchteten selbst, und oft genug sind es die, die mit ihrem Hass allem Fremden gegenüber Probleme machen. Ich möchte den Blick lenken auf die, die nicht so in den Schlagzeilen sind, weil sie alltäglich und normal das tun, worauf es ankommt. Ich bin froh, dass es viele Kirchengemeinden und Gruppen in der Kirche gibt, die sich nicht einschüchtern lassen, wenn sie als Gutmenschen beschimpft werden. Die zuversichtlich jedem helfen, der in Not ist, weil sie davon überzeugt sind, dass wir in Deutschland eine starke Gemeinschaft sind, die helfen kann. Das sind die, die mit gutem Willen und reichlich Anstrengung Dinge schaffen können, die andere nicht einmal versuchen wollen: für Arme, Obdachlose und Geflüchtete.

Da gibt es ein schönes Wort aus der Bibel, das heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen wird: „Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht!“ (2 Tim 4,2). So geht „Endlich sagt's mal jemand“ nämlich auch. Das gute Wort, die gute Tat. Wie befreiend ist es, wenn wir viel mehr davon sprechen. Wir brauchen Mutmacher, keine Miesmacher. Ich bin froh über das Christliche am Abendland. Wenn nämlich das etwas antiquiert wirkende Wort von der Nächstenliebe ganz konkret wird. Nächstenliebe: das ist Solidarität, Menschenfreundlichkeit und Hilfe in der Not, egal welche Hautfarbe, Herkunft oder Religion jemand hat. Das ist christlich am Abendland. Das sind Werte!

Auch das ist ein Wort aus der Bibel: “Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.” (1 Petr 3,15) Ich nehm' mir vor, in der kommenden Woche mal genau drauf zu achten, wo es in der Zeitung und im Radio Hoffnungsmeldungen gibt. Und ich will drauf achten, wo es in meinem Alltag Grund zur Hoffnung gibt: vielleicht banal, vielleicht unbeachtet, aber doch unheimlich wichtig. Damit will ich die Welt nicht schöner reden, als sie ist. Damit verschließe ich nicht die Augen vor Leid, Krieg, Terror und Angst. Und ich laufe auch nicht mit einer rosa Brille durch's Leben. Aber ich will mir auch nicht einreden lassen, dass die Welt immer schlimmer wird, immer hoffnungsloser, immer brutaler. Wird sie nämlich nicht. Und ich bin dem auch nicht nur passiv ausgeliefert. Auf das „Normale“ zu achten, auf das, was Hoffnung macht im Alltag: Das nehm' ich mir vor für die nächste Woche. Davon will ich dann auch erzählen: bei Freunden, Kollegen – oder hier im Radio. Und ich hoffe, dass dann jemand, der das hört, denkt: Endlich sagt's mal jemand!

 

 

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