SWR3 Gedanken

SWR3 Gedanken

Wir sitzen beim Abendessen im Studentenwohnheim. Wir, das sind junge Theologen, künftige Pfarrerinnen und Pfarrer in Chicago. Braxton ist bereits Pfarrer und will seinen Doktor machen. Er kommt aus Louisiana im Süden der USA. Die Jüngeren diskutieren eine Bibelstelle. Sie sollen predigen über den Satz, den Jesus zu seinen Freunden sagt:

Wenn dir einer auf die rechte Wange schlägt, dann halte ihm auch die linke hin.
Braxton sagt leise: „Ich würde das nicht tun!“ „Was würdest du nicht tun?“ frage ich.  „Ich würde nicht zuschauen, wenn jemand in unsere Gemeinde kommt und anfängt die Leute zu erschießen. Wir haben jetzt bewaffnete security in unserer Kirche.“ Braxton ist Afroamerikaner, seine Gemeinde ist eine schwarze Gemeinde.

„Wie, security - in der Kirche?“ Ich kann mir das nicht vorstellen. „Polizeibeamte, meint er, die an ihrem freien Tag sowieso bei uns wären, die kommen in zivil und haben ihre Waffe dabei. Nicht um jemand umzubringen, aber um uns zu schützen. Ihr Weißen predigt uns immer Gewaltlosigkeit. Aber wir können das nicht mehr hinnehmen.

Weißt du, dass allein letztes Jahr im amerikanischen Süden 200 Kirchen schwarzer Gemeinden niedergebrannt wurden? Wir wollen niemand erschießen. Aber wir werden die weiße Gewalt nicht mehr hinnehmen.“

„Aber Martin Luther King war doch gegen Gewalt!“ werfe ich ein. „Der hatte auch security, sonst hätten sie ihn schon früher ermordet.“erklärt mir Braxton.

Ich bin völlig verwirrt und frage bei anderen Schwarzen nach. Für mich unfassbar, wie viele sagen:
„Es geht nicht anders. In diesem Land gibt es so viele Waffen, und so viele Weiße, die Schwarze hassen. Sie denken, sie sind Helden wenn sie uns ermorden, unsere Kinder, unsere Vorbilder, unsere Pfarrer.

Wir kämpfen nicht mit Gewalt, wir haben nur gelernt, dass sie vorsichtiger sind, wenn sie wissen: wir sind nicht wehrlos. Es ist nicht, wie Jesus es will – wir wissen das. Wir leben noch nicht in Gottes Reich.“
Die andere Wange hinhalten– über diesen Satz werde ich nie mehr so reden können, wie vorher.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22829
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