SWR1 Begegnungen

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Annette Bassler trifft Prof. Gerhard Trabert, Mainz, Armut und GesundheitGerhard Trabert

Auf der Seawatch: Seliger Tausch

Mit seinem Namen ist untrennbar das Thema „Armut und Gesundheit“ verbunden. In Deutschland hat der 60 jährige Arzt den Verein mit diesem Namen gegründet. Vor einem Monat war er mit der Seawatch auf dem Mittelmeer. Um Bootsflüchtlinge zu retten.

Wenn man auf diesem großen Meer ist und einfach diese Weite sieht. Und wenn man dann zum ersten Mal ein Schlauchboot in diesem Meer entdeckt, wo 150 Menschen … am Rande des Schlauchboots sitzen- wir wissen, dass die meisten nicht schwimmen können- das ist schon sehr beeindruckend einfach auch das Wissen, wenn da irgendwie ein bisschen mehr Wellengang ist, dann hat dieses Boot keine Chance und dann werden die Menschen sterben, die darauf sind.

Gerhard Trabert ist schon auf der stabilen Seawatch seekrank geworden. Umso mehr hat ihn die Durchhaltekraft der Flüchtlinge beeindruckt, die sie aus dem Meer gerettet haben. Sogar eine Mutter ist mit ihren drei kleinen Kindern aus Gambia geflohen, zu Fuß und dann im Schlauchboot, eine kaum vorstellbare Anstrengung.

Sie möchte einfach ihre Töchter vor der Genitalverstümmelung bewahren und hat diesen Leidensweg auf sich genommen. Und sie hat so viel Energie ausgestrahlt und auch Freude dann, sie war uns so dankbar, sie hat gesungen, das war tief beeindruckend.

Gerhard Trabert ist in allen Krisengebieten der Welt gewesen. Und zwar mit klaren inneren Koordinaten.

Ich bin dorthin mit der Motivation, durch diese Aktion den Menschen ein Stück Würde zurückzugeben, weil ich die europäische Flüchtlingspolitik grade im Mittelmeer würdelos empfinde.

Dieses würdelose Handeln macht nämlich auch, dass man seine eigene Würde verliert, meint Gerhard Trabert. Der Einsatz war ihm deshalb als Mensch und als Europäer wichtig. Er wollte Würde zurückzugeben. Und hat dabei eine erstaunliche Erfahrung gemacht.

Was ich erfahren habe, war, dass die Menschen mir Würde zurückgegeben haben, durch die Begegnung, durch dieses direkte miteinander reden, sich in die Augen schauen, sich auch zu umarmen, haben sie mir eine Stück Würde zurückgegeben.

Für ihn ein großes Geschenk. Unverdient eigentlich. Ich muss an eine Idee von Martin Luther denken. Er nennt es „Seliger Tausch“. Und der geht so: Ich bringe meine Schuld vor Gott. Und er schenkt mir Würde oder gibt sie mir zurück. Und genau das passiert mit denen, die Jesus „die Geringsten“ genannt hat. Für Gerhard Trabert hat das menschliche und politische Konsequenzen.

Was jetzt nötig ist und Not wendet

Sein ganzes Berufsleben hat sich Gerhard Trabert für die Ärmsten engagiert. Die Wohnsitzlosen, die ohne Krankenversicherung und am Rand des Existenzminimums. Dafür ist er mit dem Bundesverdienstkreuz und der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung für Ärzte geehrt worden. Sein Engagement bringt ihn oft an seine körperlichen und seelischen Grenzen.

Energie gibt mir der Kontakt mit den betroffenen Menschen. Ob das jetzt der wohnungslose Mann ist oder die geflüchtete Frau aus Syrien. Das sind sehr authentische Begegnungen, das ist etwas zutiefst Berührendes und da geschieht etwas.

Und daran will er andere teilhaben lassen. Will Konsequenzen anmahnen, vor allem bei denen, die politische Verantwortung tragen, die Strukturen ändern können, welche zu Armut und Not führen.

Was mir unheimlich viel Kraft nimmt, ist dieses gegen Strukturen anzukämpfen,… ob das Kommunalpolitik ist -Stichwort Gesundheitskarte für geflüchtete Menschen-, Landespolitik oder Bundespolitik ist, das verlangt die meiste Energie.

Mich macht das zornig. Immerhin- viele merken jetzt, dass wir endlich die wirtschaftlichen Strukturen ändern müssen, die zur Massenflucht aus Afrika geführt haben. Warum diskutiert man über Obergrenzen und Mauern, statt Verantwortung für eigene Fehler zu übernehmen? Oder anders gesagt: Wir sind grade dabei, unsere Würde zu verlieren, unsere Identität. Warum?

Die Stärke Europas, auch die Stärke Deutschlands ist Humanität, sind Menschenrechte. Das ist unsere Identität. Will ich mal hoffen, dass das noch unsere Identität ist.

Stellt sich die Frage: was können wir dafür tun? Für Gerhard Trabert ist das ganz klar.

Es war vorher nicht ok, dass man viele Menschen im Stich gelassen hat bei einer Kinderarmutsquote von 5,2 Millionen, da läuft etwas strukturell falsch. Jetzt ist man gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen, weil viele geflüchtete Menschen zu uns kommen. Und diese Veränderung würde ich gern hinterfragen: Was müssen wir tun, damit diese Gesellschaft gerechter wird?

Viele haben Angst, dass der innere Frieden in unserem Land gefährdet ist. Ich auch. Ich glaube, jetzt ist die Zeit, in der wir über die Zukunft entscheiden. Wir- nicht die da oben. Ob die Krise uns Anlass ist, dass es in unserem Land mehr Gerechtigkeit gibt. Dass wir unsere Würde bewahren. Auch wenn uns das Mühe und vielleicht auch Verzicht auf Wohlstand kostet.

Ich hab in vielen Diskussionen das Gefühl, da ist etwas in Gang gesetzt worden, auch grade jetzt durch diese Situation von vielen Menschen, die zu uns gekommen sind aus Not und Leid. Wenn wir das wirklich umsetzen in konkrete Aktion aber auch in eine Einflussnahme auf die etablierte Politik, indem wir auch auf die Straße gehen, ich glaub, da können wir schon was verändern, ich glaub, wir sind an einem ganz entscheidenden Punkt.

 

Seawatchboot

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22814
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