SWR2 Wort zum Tag

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Es gibt Jesusworte, die sind einfach rätselhaft. Eines davon stammt aus dem Matthäus-Evangelium. Da heißt es: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen. (Mt 18,3).

Ich finde es gar nicht so eindeutig, was Jesus damit sagen will. Die Logik dieses Ausspruchs geht nicht so einfach auf. Ich muss dazu erst einmal Kinder beobachten. Kinder zeigen ungefiltert, ehrlich und direkt, was sie fühlen. Zum Beispiel die Neugier. Kinder sind offen und wollen verstehen, was sie sehen. Meistens auch ohne es moralisch zu bewerten. Und Kinder sind schutzbedürftig und wissen, dass sie jemanden brauchen, der sich um sie sorgt. Das ist schon ziemlich viel und wenn ich mir dieses Verhalten zu eigen mache, bin ich vielleicht wirklich schon näher dran am Himmelreich: direkt und ehrlich, die Welt und die anderen verstehen wollen und keinen moralisch bewerten oder verurteilen. Dazu noch das Wissen, dass ich auf andere angewiesen bin.

Dieses Wie-die-Kinder-Werden hat aber noch tiefere Dimensionen. Ich meine, dass ich auch das in den Blick nehmen kann, was Psychologen das „innere Kind“ nennen. Sie gehen davon aus, dass jeder Erwachsene kindliche Anteile in seiner Person hat, die sein Verhalten unbewusst mitprägen: Erfahrungen und tiefe Emotionen aus der Kindheit. Wenn ich zum Beispiel als Erwachsener etwas Ähnliches erlebe, wie ich es als Kind erfahren habe, kann es passieren, dass ich wieder so reagiere wie damals. Zum Beispiel, wenn ich in einer Situation unangemessen reagiere und trotzig bin. Wenn ich also meine Wut und meinen Ärger nicht mehr kontrollieren kann. Oder positiv, wenn meine kindliche Neugier aktiv wird oder wenn ich mich unbändig freue.

Mir geht es nicht darum, dass ich als Erwachsener Aspekte aus der Kindheit nachhole, weil ich nicht genug davon hatte. Das wäre in meinen Augen eher infantil.

Wenn ich wie ein Kind werde und mit dem inneren Kind in Kontakt komme, liegt die Chance woanders: Wenn ich zum Beispiel merke, dass ich gerade nicht angemessen reagiere, weil mein Ärger zu stark wird, kann ich versuchen, mich zu erinnern, wie ich mit 10 Jahren war. In der Zeit als ich abends gezählt habe, wie oft ich noch einschlafen muss bis Weihnachten ist oder mein Geburtstag kommt. Oder als der Wald beim Spielen ein phantasievoller Ort war, in dem Räuberbanden unterwegs sind und dingfest gemacht werden. Diese Abenteuer haben wir Kinder damals spielerisch leicht bestanden. Darin steckt das Heilsame, in diesem phantasievollen Zugang zur Welt und in dem Glauben, dass das Gute gewinnt.

Mit diesem Kind bin ich viel zu selten in Kontakt. Aber vielleicht kann ich es heute, am Weltkindertag aufsuchen und sehen, ob sich spielerische Lösungen finden für die Probleme, die sich mir heute stellen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22768
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