SWR4 Sonntagsgedanken

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Der Kerl im Spiegel

Es gibt Momente im Leben, die entscheiden darüber, wie es weitergeht. Ich meine jetzt nicht die großen Weichenstellungen. Ich denke vielmehr an ganz alltägliche Situationen. Wenn ich morgens in den Spiegel schaue zum Beispiel. Vielleicht kennen Sie das: Sie stehen auf, gucken in den Spiegel und fragen sich, wer Sie da anstarrt. Denn die Person sieht so mitgenommen aus, so wenig vertrauenserweckend: ihre Augen stehen auf Halbmast, die Haare sind völlig zerzaust und das Gesicht ist ganz schön zerknittert.

Genau in diesem Moment aber entscheidet sich, wie der Tag verlaufen wird. Das jedenfalls sagen Motivationstrainer. Johannes Warth zum Beispiel. Er nennt sich selber „Ermutiger“ und „Überlebensberater“. Ich habe ihn neulich erlebt und einiges von ihm gelernt. Er sagt: „Vor dem Spiegel kann man zwei Dinge tun, sich aufgeben oder sich ermutigen. Beides hat Folgen.“ Und er nennt Beispiele dafür:

Wer sich schon im Spiegel nicht leiden kann, leidet den ganzen Tag über: „Ach, wie war die Nacht so furchtbar. Oh je, wie sehe ich nur aus. Du liebe Zeit, was wird das für ein schwerer Tag.“ Und dann kommt es, wie es kommen muss: Es geht tatsächlich was schief und der Tag wird schwer. Denn wer unzufrieden ist, zieht runter; sich selber und andere. „Man erntet, was man sät“, sagt Johannes Warth! Schlechte Laune strahlt aus! Bin ich mies drauf, sind es die anderen mir gegenüber auch. Bei der Arbeit zum Beispiel sind dann alle irgendwie komisch; keiner lacht zu mir rüber oder spricht mehr mit mir als er muss. Und auch zuhause liegt was in der Luft; offenbar sind heute alle auf Streit aus. Für Johannes Warth ist klar, woran das liegt: ich selber habe morgens die Weichen falsch gestellt!

Die Alternative ist, sich morgens gezielt zu ermutigen. Warum nicht der Person im Spiegel ein wenig schmeicheln und was Nettes sagen? Zum Beispiel, wie es bei mir daheim im Dialekt heißen würde: „Kerl, Du gfallsch ma.“ Der Motivationstrainer ist überzeugt: Wer den Tag so anfängt, der gewinnt. Er geht aus dem Badezimmer und ist sich sicher: „Das Beste, was der Welt heute passieren kann, bin ich.“ Und es wird tatsächlich so sein! Denn wie man in den Wald ruft, so schallt es heraus. Wer offen in die Welt geht, wird herzlich empfangen! Oder wie Johannes Warth sagt: „Glücklich wird, wer glücklich macht.“ Selbst Schwieriges wird mir leichter fallen, weil ich es gelassen angehe. Und das baut mich auf, den ganzen Tag über immer wieder neu.

Für Warth entscheidet sich übrigens oft schon vor der Badezimmertür, wo es an diesem Tag hingeht – sprachlich nämlich. Manche Menschen stehen morgens auf, um sich hübsch zu machen für das, was kommt. Andere hingegen gehen ins Bad, um „sich zu richten“. Sie ziehen los und „machen sich fertig“. Und dann wundern sie sich, dass die ganze Welt gegen sie ist.

...du bist einziartig

Viele Menschen erschrecken, wenn sie morgens in den Spiegel schauen. Allerdings ist genau dieser Moment enorm wichtig. Er entscheidet darüber, wie der Tag verlaufen wird. Das jedenfalls sagt Johannes Warth, ein Motivationstrainer, von dem ich eben in meinen Sonntagsgedanken erzählt habe. Wer vor seinem Spiegelbild kapituliert, geht unzufrieden in den Tag: Was soll der schon Gutes bringen? Die Alternative ist, sich bewusst zu ermutigen und sich klar zu machen: „Das Beste, was der Welt heute passieren kann, bin ich!“

Darf man aber von sich so überzeugt sein? Johannes Warth fragt sich das ernsthaft. Ist das nicht überheblich und gerade für Christen unangebracht, die sich doch traditionell eher um den Nächsten kümmern sollten als um sich selber. Warth schaut in die Schöpfungsgeschichte und gibt sich dann selber eine Antwort. In seinen humorvollen Worten klingt das so: „Gott schöpfte die Welt. Und bei allem, was er schöpfte, sah er, dass es gut war. Nur beim Menschen nicht. Den fand er sehr gut.“

Wer die Schöpfungsgeschichte genau liest, stellt fest, dass sich dieses „sehr gut“ auf alles bezieht, was Gott gemacht hat: auf Pflanzen, Tiere und auch auf den Menschen. Aber ich finde, Johannes Warth hat dennoch Recht. Der Mensch ist sozusagen das i-Tüpfelchen der Schöpfung. Daran jedenfalls lässt die Schöpfungsgeschichte keinen Zweifel. Dem Menschen nämlich vertraut Gott alles an, was er gemacht hat. Wenn das mal nicht grandios ist!

Es gibt viele weitere Bibelstellen, die zeigen, dass der Mensch ganz besonders ist, einzigartig und von Gott gewollt. Zu meinen Lieblingsstellen gehören zwei Psalmen. In Psalm acht zum Beispiel kann es der Beter kaum fassen, dass Gott den Menschen gemacht hat. Er schreibt: „Sehe ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist da der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt. Du hast ihn als Herrscher eingesetzt über das Werk deiner Hände.“ Für den Beter ist es unfassbar: der Mensch ist das Abbild Gottes; jeder Einzelne. Psalm 139 vertieft das noch: Gott kennt jeden Menschen bis ins Letzte, ja, er kennt ihn so gut wie sich selbst. Er hat ihn schließlich gemacht und schon vor seiner Geburt erwählt. Es heißt da: „Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast.“

Ist es also wirklich übertrieben, morgens in den Tag zu starten mit der Einstellung, dass ich zum Besten gehöre, was der Welt passieren kann? Nein, es ist nicht übertrieben. Denn jeder Einzelne ist ganz besonders. Er spiegelt Gott wider und ist von ihm gemacht. Was kann es Besseres geben? Überheblich wird es nur dann, wenn ich nicht auch im anderen oder in der Schöpfung Gott sehe. Auch das sollte ich mir bei aller Selbstliebe immer wieder mal klar machen. Am besten dann, wenn ich mal wieder morgens im Bad schon gleich damit anfange, mein Gegenüber fertig zu machen – diesen unrasierten Kerl im Spiegel.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22710
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