SWR4 Sonntagsgedanken

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Dehnungsstreifen, Falten, Cellulite

„Schatz, findest Du, dass ich älter geworden bin?“ Jedem Mann rutscht das Herz in die Hose, wenn ihn seine Frau das fragt. Egal, was er sagt, es geht daneben: „Ja klar siehst Du älter aus. Guck nur mal Deine Runzeln an.“ Welche Frau will sowas hören? Auch „nein“ ist keine Alternative: „Du siehst genauso jung aus wie damals.“ Soll sie das wirklich glauben? Er glaubt es doch selber nicht. Schließlich kennt er sein eigenes Spiegelbild nur zu gut – die grauen Haare, die Falten und die Bauchmuskeln im Speckmantel. Bleibt nur eine Antwort: „Wir werden doch alle nicht jünger.“

Ich habe neulich von einer Frau gelesen, die ihren Mann in eine ähnliche Lage gebracht hat. Mit Ende Vierzig fühlt sie sich nicht mehr ganz so attraktiv und knackig wie mit Zwanzig. Sie hat Angst, dass sie ihrem Partner nicht mehr gefällt. Das bringt sie auf eine Idee: Sie lässt Fotos von sich machen, die ihren Mann beeindrucken sollen. Der Fotografin sagt sie genau, wie sie sich das vorstellt: „Entfernen Sie alle Dehnungsstreifen, die Falten und auch die Cellulite.“ Für die Fotografin kein Problem: sie dunkelt das Licht ab, wählt die Pose gekonnt aus und retuschiert am Ende die restlichen Problemzonen. Heraus kommen brillante Fotos von einem nahezu perfekten Model.

Dann kommt der Tag, an dem die Frau ihrem Mann die Bilder zeigt. Der aber reagiert anders als gedacht: er zuckt nämlich zusammen. Zwar findet er die Frau auf den Fotos attraktiv. Keine Frage. Aber es ist nicht seine Frau. Nicht die, die ihm über all die Jahre so vertraut geworden ist und deren Makel er nur allzu gut kennt. Es ist nicht mehr die, die er all die Jahre geliebt hat. Ihre Dehnungsstreifen sind weg und damit auch die Spuren der Kinder, die die Zwei zusammen haben. Auch fehlen die Falten und mit ihnen all die Jahre voller Lachen und Sorgen, Höhen und Tiefen. Was die beiden verbindet, was sie erlebt und zusammen durchgestanden haben, ist einfach weg.

Jede Lebensphase hat ihre „Zeit“

In meinen Sonntagsgedanken spreche ich heute darüber, dass sich viele Menschen schwer damit tun, älter zu werden und nicht mehr so knackig zu sein wie früher. Sie sorgen sich darum, dass sie nicht mehr so attraktiv und jugendlich wirken, und sie investieren viel Zeit, Mühe und Geld, damit das nicht passiert. Und doch altern wir alle.

Der Prediger Kohelet macht sich da nichts vor. Im Alten Testament sagt er ganz direkt, was Sache ist: „Die Jugend und das dunkle Haar sind Windhauch“, also vergänglich. Er beschreibt sprachlich sehr schön und doch von der Sache her ganz nüchtern, was eines Tages kommen wird (vgl. Koh 12,1-8). Alles wird beschwerlich werden: „Die Wächter des Hauses werden zittern, die starken Männer sich krümmen.“ Kohelet spielt damit auf die Hände und Beine an. Weiter sagt er: „Die Müllerinnen“, also die Zähne, „werden ihre Arbeit einstellen, weil sie zu wenige sind. Es wird dunkel bei den Frauen, die aus den Fenstern blicken, das Tor zur Straße wird verschlossen und das Geräusch der Mühle verstummt“; Kohelet meint damit Augen, Ohren und Stimme. Er schreibt weiter: „Der Mandelbaum blüht“, also die Haare werden weiß. Und: „Die Heuschrecke schleppt sich dahin“; damit meint er die Art zu gehen. [Schließlich, so sagt Kohelet, „reißt die silberne Schnur, das Rad zerbricht, der Staub fällt auf die Erde zurück.“]

Kohelet beschreibt das Alter so nüchtern und doch irgendwie so liebevoll, finde ich. Für ihn gehört es ganz selbstverständlich dazu. Offenbar hat er es für sich akzeptiert und kommt gut damit klar. Jedenfalls schwingt für mich in seinen Zeilen keine Wehmut mit. Er scheint nicht damit zu hadern, dass jeder irgendwann älter wird. Und er macht sich auch keinen Kopf um das, was damit verbunden ist. Er akzeptiert einfach, dass alles im Leben seine Zeit hat: „Es gibt eine Zeit zum Gebären und eine Zeit zum Sterben; eine zum Pflanzen und zum Ernten. Zum Weinen und Klagen ebenso wie zum Lachen und Tanzen.“ Für Kohelet ist das einfach so. Ein Leben lang gibt es Momente, die wie ein Windstoß kommen und vergehen, Lebensphasen, die einander ablösen. Und jede dieser Phasen schickt ihre Boten voraus, die grauen Haare zum Beispiel, und sie hinterlässt Spuren, Lachfalten oder Dehnungsstreifen von einer Geburt. Für Kohelet ist das nicht schlimm. Er akzeptiert es und kann damit leben – gut und leicht leben.

Mir gefällt diese Einstellung! Kohelet sagt schon auch, dass man für sich sorgen und auf sich achten soll; wörtlich meint er: „Halte deinen Sinn von Ärger frei und schütz deinen Leib vor Krankheit.“ Wenn ich ihn aber recht verstehe, macht er es sich nicht zum Lebensinhalt, gesund und leistungsfähig, jung und attraktiv zu bleiben. Das unterscheidet ihn von vielen Menschen heute. Alles hat eben seine Zeit. Nur wer das akzeptiert, kann den Moment auskosten. Er schaut nach vorne und verliert sich nicht in dem, was er nicht mehr kann, hat oder ist.

Ich wünsche mir, dass mir das auch gelingt. Vor allem dann, wenn ich wieder mal vor dem Spiegel stehe und sie sehe, die Falten, die ersten grauen Haaren und meine Bauchmuskeln im Speckmantel.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22188
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