SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

Wilhelm von Humboldt hielt ihn für eine „völlige Null“, Goethe für einen „Narren“, was ihn jedoch nicht davon abhielt, für seinen „Wandsbeker Boten“ zu schreiben - die Rede ist von Matthias Claudius. Viele Aufklärer taten sich mit der deutlichen Kritik des hochgebildeten Literaten an ungebrochener Wissenschaftsgläubigkeit schwer. Manchen Theologen war er dagegen zu dichterisch. In ein Schema ließ er sich zeitlebens nicht pressen. Dem von vielen verachteten, von anderen hochgelobten Zeitgenossen Goethes gelang jedoch etwas, was der Großfürst der Dichter selbst nicht erreichte. Matthias Claudius hat das bekannteste aller deutschen Lieder gedichtet: „Der Mond ist aufgegangen.“ In Verbindung mit der kongenial einfachen Melodie von Johann Abraham Peter Schulz konnte aus dem Abendlied „Der Mond ist aufgegangen“ ein Volkslied werden, das bis heute sowohl in den kirchlichen als auch in außerkirchlichen Gesangbüchern vertreten ist. Es ist wirklich mehr als ein Abendlied, es ist ein in Schönheit, Sprachkraft und Klang einzigartiges Werk, das deshalb auch jenseits des Mondaufgangs hörenswert ist.

Komposition und Dichtung haben eine gemeinsame Vorlage: Paul Gerhard. Matthias Claudius kannte den großen Paul Gerhardt, dessen Abendlied „Nun ruhen alle Wälder“ von Johann Sebastian Bach in seinen Passionen aufgenommen wurde. Schulz veränderte die musikalische Struktur dahingehend, dass der Paarreim im Text deutlicher hörbar wird, gegenüber der Vorlage entsteht ein musikalisch ruhigerer Eindruck. Die Musik sollte sich ganz den Worten anschmiegen und auch ohne Begleitung wie aus einem Guss wirken. So wird aus Melodie und Text ein klangvolles Gesamtgefüge. Musik und Sprache malen Bilder in die Seele: Der Wald steht schwarz und schweiget, der weiße Nebel wunderbar.

Das Lied ist wie ein Gespräch gedichtet - mit Menschen und Gott. „Seht ihr den Mond dort stehen?“ Und: „Gott, lass dein Heil uns schauen“. Die dialogische Form lag Matthias Claudius in ganz besonderem Maße. Heute würde man sagen: Der Mann war mediengerecht, allerdings nie stromlinienförmig, was ihm sicher auch heute noch Schwierigkeiten bereiten könnte. Menschen, die sich nicht im Zeitgeist bewegen, haben es immer schwer. Einfach dagegen ist seine Sprache, weil Matthias Claudius weiß, dass es Dinge im Leben gibt, die gerade so nur erfasst werden können: Mit einem - so nennt er es - „einfältigen“ Herzen. Es ist ein Staunen über die Welt, eine unbefangene Freude über die Schöpfung und eine fröhliche Dankbarkeit für alles, was uns Menschen geschenkt ist. „Lass uns einfältig werden, und vor dir hier auf Erden, wie Kinder fromm und fröhlich sein.“ Einfalt ist weder dumm noch naiv. Sie ist eine Herzenshaltung, die sich ohne Berechnung öffnet und hingibt und dabei auch an den notleidenden Nächsten denkt.

 

Musik aus:

CD Sammlung Aus meines Herzens Gründe.
Carus 83.015
LC3989

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21742
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