SWR2 Zum Feiertag

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Dr. Karoline Rittberger-Klas im Gespräch mit Prof. Dr. Volker Leppin, Tübingen

Rittberger-Klas: Der Karfreitag gilt traditionell – gerade bei uns Protestanten – als höchster kirchlicher Feiertag. Dass in der Kirche der grausame Tod Jesu so in den Mittelpunkt gestellt wird, ist heute aber nicht mehr leicht zu vermitteln. Herr Professor Leppin, Sie sind Professor für Kirchengeschichte an der Universität Tübingen, wenn Sie an diesem Wochenende nur einmal in die Kirche gehen dürften, für welchen Gottesdienst würden Sie sich entscheiden – Karfreitag oder Ostern?

Leppin: Wahrscheinlich würde ich erst einmal verhandeln, ob ich nicht doch zwei Gottesdienste besuchen darf, aber wenn es denn bei dem einen bleibt, dann ist es bei mir tatsächlich so, dass ich Ostern vorziehen würde. Das entspricht nicht ganz der protestantischen Tradition, aber der Gottesdienst am Ostermorgen, der durch das aufkommende Licht vermittelt: Das Leben beginnt! – der spricht mich sehr, sehr tief an.

Rittberger-Klas: Früher war das ja eine konfessionelle Frage, es war klar: für  die Evangelischen ist der Karfreitag wichtiger, für die Katholiken eher der Ostersonntag – das hat historische Gründe…?

Leppin: Das hat sehr stark mit der Reformation selbst zu tun, insgesamt im Blick auf die Liturgiegeschichte beginnt es tatsächlich mit dem Osterfest, das ist das ältere Fest, von dem aus sich dann die Osterwoche entwickelt hat und irgendwann auch der Karfreitag. Aber die Betonung des Kreuzes in der reformatorischen Theologie, die hat dazu geführt, dass dann der Karfreitag zum dem hohen Feiertag des Protestantismus wurde.

Rittberger-Klas: Luther hat bewusst die „theologia crucis“, die Theologie des Kreuzes, in den Mittelpunkt seines theologischen Denkens gestellt. Warum war ihm das Nachdenken über Leiden und Tod Jesu so wichtig?

Leppin: Es kommt ja tatsächlich nicht nur von ihm. Er stammt aus einer Welt, die voller Passionsfrömmigkeit ist, sein Beichtvater Staupitz hat tief Passionsfrömmigkeit gelebt. Er lebt in einer Welt, in der es Schmerzensmänner gibt, in der es die Pietá gibt. Von dort her hat er ein tiefes Empfinden für das Leiden und drückt theologisch in diesem Leiden aus, dass Gott uns nirgends so nah kommt wie an dem allertiefsten Punkt der menschlichen Existenz, eben im Leiden und im Tod.

Rittberger-Klas: Ich selber hatte früher ein bisschen Schwierigkeiten damit, dass das Leiden oft so in den Mittelpunkt gestellt wird im christlichen Glauben. Ich hatte so den Eindruck, der christliche Glaube läuft da auch Gefahr, als freudlos und leidensbetont dazustehen. Aber irgendwann habe ich stärker verstanden, dass eine Theologie des Kreuzes eine ganz tröstliche, seelsorgerliche Dimension hat. Und ich glaube, darum ging es Luther ja auch.

Leppin: Es ging ihm nicht darum, sich im Leid zu suhlen, wie es manchmal den Anschein hat, sondern es ging tatsächlich darum, dass Gott bei den Menschen ist. Und wir können das gelegentlich auch noch empfinden, dass das Leid so etwas ist, was uns Menschen permanent begleitet und diese religiöse Sprache des Leidens viele Menschen sehr stark ansprechen kann – wenn Sie daran denken, dass „Unter den Linden“, in dem Denkmal in der Neuen Wache eigentlich eine Pietá-Darstellung ist, Maria mit dem leidenden Sohn , dann ist das die Form, in der Menschen sich wiederfinden können – und letztlich finden sie sich darin in Christus und seiner Mutter wieder.

Rittberger-Klas: Ja, ich glaube, Kruzifixe in Krankenhäusern bringen Menschen oft auch auf diesen Gedanken: Da ist einer, dem geht es auch schlecht, der leidet mit mir oder wie ich – das ist, denke ich, oft ein Anknüpfungspunkt in solchen schwierigen Situationen.

Leppin: Und ich bin nicht alleine in diesem Moment. Das Leiden kann einen ja sehr stark isolieren, man ist sehr fixiert, sehr zurückgeworfen auf seinen eigenen Körper, die Schmerzen, und dann ist einer da, der es teilt.

Rittberger-Klas: Es verändert auch das Gottesbild, denke ich, wenn man sehr stark von dem leidenden Jesus ausgeht in der Theologie…

Leppin: Das war für Luther der ganz wichtige Impuls, dass Gott nicht nur derjenige ist, den ich in abstrakten Begriffen, hochstehend, über Allmacht und so weiter definieren kann, sondern dass Gott derjenige ist, der wirklich mit aller Konsequenz Mensch geworden ist.

Rittberger-Klas: Christlicher Glaube, der vom Kreuz her gedacht wird, ist ja auch Anstoß für Veränderungen in der Kirche – war auch Anstoß für die reformatorischen Veränderungen in der Kirche zum Teil.

Leppin: Luther hat Kreuz und Christus in Ausschließlichkeit gegen bestimmte Formen der Kirche seiner Zeit gestellt. Und da würde heute auch die meisten katholischen Glaubensgeschwister sagen: Das hat er auch zu Recht getan, dass er darauf verwiesen hat, dass sich niemand zwischen uns und Jesus Christus stellen kann, stellen darf. Das musste mit großer Macht gegenüber Formen der Kirche seiner Zeit ausgedrückt werden. Aber diese Formen sind  längst überwunden.
Sie haben eben schon das Stichwort „theologia crucis“ genannt, das Luther in der Heidelberger Disputation 1518 verwendet hat und entgegengestellt gegen eine „theologia gloriae“, eine Theologie der Herrlichkeit. Es ging im darum, deutlich zu machen: Der Mensch ist nicht derjenige, der sich zu Gott erhebt, durch den Verstand, durch die Vernunft, durch äußerliche Pracht. Gott ist zu den Menschen gekommen. Das führt sehr viel Demut mit sich, und es bringt mit sich, dass das Vertrauen auf die eigenen Kräfte des Menschen überlagert wird durch das ganz tiefe Vertrauen in Gott.
Das gilt für unsere Kirche im 21. Jahrhundert nicht weniger als im 16. Jahrhundert und das ist sicher etwas, das wir uns in unserer mitteleuropäischen Situation als Kirche immer wieder gesagt sein lassen müssen: Dass das Kreuz dann missbraucht worden ist, als es ein Herrschaftszeichen war, und das Kreuz dann richtig seine Anwendung findet, wenn wir uns unter das Kreuz stellen und uns damit auch in Demut hineinführen lassen.

Rittberger-Klas: Was hat das für Konsequenzen für eine Kirche, die das konsequent denkt?

Leppin: Wahrscheinlich muss man manches auch im Konjunktiv sprechen... Es hätte tatsächlich die Konsequenz, das Kirche vor allen Dingen das ist, was Dietrich Bonhoeffer mal „Kirche für andere“ genannt hat, nahe bei den anderen zu sein, nahe bei den Leidenden. Wir finden Lebensformen dessen in der evangelischen Kirche, wir finden sie auch in der katholischen Kirche. Vieles, was der heutige Papst Franziskus vorlebt, hat auch mit dieser Theologie des Kreuzes zu tun.

Rittberger-Klas: Das Kreuz ist auch ein Zeichen insgesamt für die menschliche Schwäche. Und ich glaube dadurch ist ja auch schon gesagt, dass eine Kirche, die von Menschen geleitet und von Menschen gelebt wird, immer menschlich bleibt und Gott sich nur unvollkommen annähern kann.

Leppin: Das ist natürlich auch etwas Tröstliches. Dass wir sagen: Wenn wir als Kirche Aufgaben haben, dann können wir nicht nur Fehler machen, dann müssen wir notgedrungen auch Fehler machen. Das gehört zu unserer Existenz dazu. Das Kreuz erinnert uns daran, dass wir zu diesen Fehlern auch stehen und dass wir anerkennen: Ich bin derjenige, der diese Fehler gemacht hat und der sich vor Gott auch dafür verantwortet – und der nicht in erster Linie von Gott dafür gestraft wird, sondern dem Gott entgegengekommen ist und gesagt hat: Ich gehe in deine niedrige, kaputte, begrenzte Welt hinein.

Rittberger-Klas: Ich hab das Gefühl, in der heutigen Frömmigkeit gibt es wieder eine Tendenzen hin, gerade bei jungen Menschen, zu einer Frömmigkeit, die stärker vom Charismatischen herkommt, wo auch diese Idee vom Sieg über das Böse, vom Sieg über das Leiden stark in den Mittelpunkt gestellt wird, oft auch in Liedern. Dass man vielleicht die Sehnsucht hat nach so einem überwindenden Glauben. „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ ist, glaube ich, so ein Stichwort, was auch bei Jugendlichen oft sehr beliebt ist, das Gefühl: Mit meinem Gott kann mich nichts mehr schrecken, ich bin stark. Steht das im Gegensatz?

Leppin: Es ist ja immerhin auch ein Psalmwort, dass ich mit meinem Gott über Mauern springen kann. Das ist die andere Seite. Aber ich kann nicht einfach in Herrlichkeit von vornherein mit ihm über Mauern springen. Und das ist wahrscheinlich eine der wichtigen Aufgaben, die wir heute auch haben, daran zu erinnern: Das Leid ist da. Auch wenn ich versuche, es beiseite zu schieben und zu verdrängen. Es sind auch nicht nur die Jugendlichen, die es zur Seite schieben, sondern unser Umgang mit Sterben und Tod, mit dem Abschieben von Kranken, was immer wieder passiert, das ist der Versuch, das Leiden aus unserer Existenz loszuwerden. Und vielleicht ist auch der Versuch, Flüchtlinge möglichst weit wegzudrängen, ein Ausdruck dessen, dass wir das Leiden in unserer Gegenwart nicht haben wollen. Und dann kommt mit einem Mal ein Foto von einem kleinen Jungen, der gestorben ist auf dem Weg nach Europa, und wir erinnern uns daran, da ist viel Leid, und dann entsteht tatsächlich auch tiefes Mitleid.

Rittberger-Klas: Und aus dem Mitleid wiederum auch eine Verpflichtung, der man sich nicht so schnell entziehen kann.

Leppin: Das gehört zu den Faktoren, die Sie angesprochen haben, dass tatsächlich Kirche und Gesellschaft sich ändern, wenn ich mich auf das Leid besinne.

Rittberger-Klas:. Wenn Sie jemandem, der dem christlichen Glauben fernsteht, erklären müssten, was Ihnen persönlich der Karfreitag bedeutet – was würden Sie sagen?

Leppin: Ich bin nicht allein, das bedeutet er mir. Da wo ich Mensch bin, da kommt Gott hin. Egal, wo es mich als Mensch hinführt. Das ist das äußere Leiden, es ist aber auch das Leiden an unserer Gesellschaft, an Symptomen unserer Zeit, es ist der Burnout. Auch da wo ich bedrängt bin, wo ich nicht weiter weiß, wo ich von meiner Arbeitswelt erdrückt werde, auch da bin ich nicht allein. Das drückt Jesus Christus durch dieses Leiden aus – und daran kann man sich festhalten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21714
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