SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Gehalten und geführt

Der gute alte Bleistift hat eine lange Tradition: die Ägypter haben ihn erfunden. Sie haben flüssiges Blei in Holzrohre gegossen und damit geschrieben. Heute werden Grafitminen dafür verwendet. Ich selber nutze Bleistifte eigentlich kaum noch. Und doch habe ich mir zum Jahreswechsel einen ganz neuen auf meinen Schreibtisch gelegt – so einen mit einem Radiergummi oben drauf!

Nicht, dass ich künftig wieder mehr mit Blei schreiben möchte! Der Stift soll mich an einiges erinnern, was ich im neuen Jahr nicht vergessen will. Bleistifte haben nämlich Eigenschaften, die auch im Leben wichtig sind. Der Schriftsteller Paolo Coelho aus Brasilien hat einmal darauf hingewiesen.

Er sagt zum Beispiel, dass Bleistifte gehalten werden müssen. Alleine aus sich heraus können sie nichts. Sie brauchen eine Hand, die sie hält und führt. Bei Menschen sei das ganz ähnlich. Coelho denkt bei dieser Hand vor allem an Gott – und ich kann das gut nachvollziehen.

Gott ist für die Menschen da – glaube ich. Davon erzählt die Bibel und ich habe das selber auch schon so erlebt: Ich kann mich an ihn wenden, wenn ich ihn brauche. Im Gebet zum Beispiel kann ich ihm Dinge anvertrauen, die mich beschäftigen. Schon oft habe ich gemerkt, dass mir das gut tut. Ich spreche vor Gott aus, was mich umtreibt. Dadurch eröffnen sich manchmal neue Perspektiven und so manche Sorge wird kleiner. Gott wirkt in meinem Leben insofern also mit und begleitet mich. Wenn ich mit ihm spreche, tun sich neue Wege auf und er führt mich dadurch immer wieder einen Schritt weiter. Das ist viel wert, denn wenn ich auf ihn vertrauen kann, kann ich gelöster in die Zukunft gehen, in ein neues Jahr, von dem ich nicht weiß, was es mir bringt. Mir jedenfalls geht das so und insofern hat Coelho recht, finde ich: Wenn Gottes Hand mich hält, bin ich zu mehr imstande, als ich es nur alleine aus mir heraus wäre.

Für mich gibt es aber auch noch andere Hände, die mich halten und führen. Die kleine Hand von meiner Tochter zum Beispiel. Immer wieder nimmt sie mich beiseite, um mir etwas zu zeigen. Etwas, wofür ich als Erwachsener schon viel zu blind bin: die Farben und zarten Details auf der Müslipackung zum Beispiel oder den Glitzerstein am Wegrand, der so schön funkelt. Ihre Hand lässt mich Neues entdecken und die Welt mit ihren Kinderaugen sehen; eben mal wieder so ganz anders, so erfrischend neu! Und es gibt Menschen um mich herum, die ganz wichtig sind für mich: Sie sind da, wenn ich sie brauche, sie helfen mir, wo ich nicht weiterkomme, und sie führen mich, wenn ich den Durchblick verliere.

All diese Hände halten mich, lassen mich stark sein und weisen mir den Weg. Und genau deshalb habe ich den Bleistift auf meinen Schreibtisch gelegt. Ich will sie nicht vergessen; gerade jetzt, am Beginn des neuen Jahres. Ich will bewusst an diese Hände denken, weil ich ihnen dankbar bin. Was wäre ich ohne sie?!

Gebrauchsspuren sind unvermeidlich, Gebrauchsspuren sind unvermeidlbar, machen aber einzigartig

In meinen Sonntagsgedanken habe ich davon erzählt, dass ich mir zum Jahreswechsel einen Bleistift auf den Schreibtisch gelegt habe. So ein Bleistift hat nämlich Eigenschaften, die sich aufs Leben übertragen lassen. Denke ich über sie nach, wirft das ein anderes, größeres Licht auf mein Leben. Und das tut mir von Zeit zu Zeit mal ganz gut.

Bleistifte nutzen sich zum Beispiel ab; manchmal bricht ihre Spitze. Dann muss ich die Arbeit unterbrechen und sie anspitzen. Ich glaube, das ist im Leben genauso. Bei mir wird es auch in diesem Jahr rundgehen und lange nicht alles wird so laufen wie ich es will. Eine Herausforderung kenne ich jetzt schon: Ich werde umziehen und befürchte, dass Kontakte abbrechen, die mir wichtig sind. Vielleicht werden auch einige meiner Pläne durchkreuzt werden oder ich muss mich für immer von lieben Menschen verabschieden. Dann wird es darauf ankommen, stehen zu bleiben und zu schauen, wie es weitergehen kann. Ich muss mich dann neu ausrichten, wieder anspitzen sozusagen, bevor ich weitermache – auch wenn es weh tut und ich mich dadurch verändere. Der Bleistift macht das anschaulich: durchs Anspitzen wird er kürzer. Aber: er schreibt auch wieder! Vielleicht sogar besser als vorher. Das beruhigt mich irgendwie.

Mein Bleistift hat übrigens einen kleinen Radierer oben drauf. Wenn ich mich verschreibe, kann ich das gleich verbessern. Bei mir selber ist das leider nicht ganz so einfach. Ich mache Fehler, verrenne mich manchmal in etwas oder sage und tue Dinge, die andere verletzen. Ich weiß das durchaus. Das Problem ist nur, dass es mir oft unheimlich schwerfällt, meine Fehler zuzugeben und zu korrigieren. Dabei könnte es doch so einfach sein – jedenfalls sagt mir das mein Bleistift. Ich breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich Fehler eingestehe und versuche, sie wieder in Ordnung zu bringen! Daran will ich denken, wenn es das nächste Mal soweit ist!

Und an noch etwas soll mich der Bleistift erinnern: Das Wichtigste an ihm ist sein Inneres, die Mine. Sie hinterlässt Spuren, Teilchen von dem, woraus sie gemacht ist. Auch jeder Mensch hinterlässt Spuren, egal, was er tut. Sie hängen mit dem zusammen, was in ihm steckt, wie er tickt und was ihn ausmacht. Sie spiegeln, was er fühlt und denkt und was ihm wichtig ist. Mein Bleistift fragt mich da sozusagen, wie das bei mir so ist, welche Spuren ich hinterlassen möchte. Und dann ist es wichtig, dass ich mit meinem Inneren in Kontakt bin: ich muss mir über Dinge klar werden, mir eine eigene Meinung bilden und Position beziehen. Ich sollte meine Talente entfalten, zeigen was in mir steckt und für was ich stehe. Da habe ich noch einiges zu tun!

Ich bin gespannt, wie das mit mir und meinem Bleistift weitergeht. Vielleicht entdecke ich ja noch mehr Dinge, die er mir zu sagen hat und an denen ich dran bleiben will.
Sicher gibt es auch Dinge, die Sie sich für das neue Jahr vorgenommen haben. Was es auch Gutes ist – ich wünsche Ihnen, dass es gelingt!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21208
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