SWR4 Sonntagsgedanken

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Teilen ist wieder „in“. Nicht nur heute zum Nikolaustag. Oder zu Sankt Martin. Oder in der besinnlichen Adventszeit. Seit drei Jahren etwa wollen Forscher einen neuen Trend festgestellt haben. Von wegen Egoismus und so. Teilen ist in! Das hat auch ganz pragmatische Gründe: Wer mit anderen teilt, hat selbst mehr davon. Mal abgesehen davon, dass das freundlich, nachhaltig und auch christlich ist. Aber der Vorteil des Teilens ist auch wissenschaftlich erforscht: „Share economy“ nennt man diesen Trend auf englisch – die Wirtschaft des Teilens. Ob es darum geht, anderen eine Unterkunft anzubieten – und selbst bei anderen zu wohnen, wenn man mal unterwegs ist. Oder ob es darum geht, sich mit mehreren Personen ein Auto zu teilen, weil man das ja nicht rund um die Uhr braucht.  

Es sind „Konsumpragmatiker“, sagt der Forscher Harald Heinrichs zu diesem Menschenschlag, der das nutzt. Bei jemandem mitzufahren ist schließlich die günstigste Variante, um von A nach B zu kommen. Wer teilt, wirft vermutlich weniger weg. Und nicht zu vergessen ist auch, wie viele soziale Kontakte entstehen, wenn man in den Internetangeboten nach Geschäftspartnern für’s Teilen sucht. Es gibt viele Möglichkeiten, mit anderen zu teilen – und von diesem System selbst zu profitieren. Unternehmen und Internetseiten, die darauf setzen und Angebote vermitteln, verdienen sogar viel Geld mit diesem Trend. 

Dabei ist es natürlich auch wichtig, was genau unter „Teilen“ verstanden wird. Es geht ja nicht drum, nur etwas in Stücke aufzuteilen, wie ein Brot, um es so zu verbrauchen. Es geht auch drum, etwas gemeinsam zu nutzen, sodass alle etwas davon haben. Das ist oft schwer genug zu verstehen. Und noch schwerer zu beherzigen. Aber am Ende geht die Rechnung auf. Sagen jedenfalls die Vertreter der „Share Economy“, die diesen  Wirtschaftstrend untersucht haben. Dabei geht es nicht nur um ein geteiltes Lächeln hier und ein gutes Wort da. So nett das sein kann. Aber das wäre zu banal. Und am Ende auch naiv. Bei der „Share Economy“ geht es um knallharte Kalkulation. Um Zahlen. Und messbare Erfolge, letztlich um Geld und Gewinn. Salopp ausgedrückt kennt der Volksmund das ja auch: Geteilte Freude ist doppelte Freude. Am Ende ist es ein Gewinn für beide Seiten. Jetzt also auch in der Wirtschaft. Der Wert des guten alten christlichen Teilens wird wieder erkannt. Na, das lässt ja hoffen! 

Und doch gibt es auch die andere Seite – wie so oft: Wenn man sich die Debatten dieser Tage anschaut, die Aufreger der Boulevardmedien: Da hat man den Eindruck, dass es neben dem Trend zum Teilen ganz gegenläufig einen Dauertrend gibt: Die Neiddebatte. Ob Sozialhilfeempfänger oder Flüchtende. Ob in einschlägigen Dokumentarfilmchen im Fernsehen oder in innenpolitischen Debatten. Wie viele Ängste und Sorgen werden da benannt – oder vorgeschoben; wie viele Vorurteile geschürt gegen die, die einem angeblich etwas wegnehmen wollen. „Teilen? – Nein danke!“, heißt es dann. „Ich hab ja selbst nicht viel.“ Bei Licht betrachtet, ist das oft unbegründet; wird aber gerne politisch und vor allem populistisch benutzt. Bei Licht betrachtet geht es gerade uns in Deutschland heute doch viel besser als vielen anderen, auch besser als zuvor: Die Renten steigen, die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Wirtschaftskraft ist stark. Natürlich gibt es auch diejenigen, die durch die Raster der sozialen Sicherungen fallen. Es gibt Familien und Einzelne, denen es nicht so gut geht. Auch bei uns. Diejenigen, die lautstark krakeelen, sind das aber oft nicht. Und Hilfe ist möglich. 

Aber: Wer immer nur teilt, kann der am Ende denn überhaupt noch selbst satt werden? Wer so eine Frage stellt, muss noch weiter denken. Hier liegt vielleicht ein Schlüssel für das Verstehen: Das Wort „satt“ kommt vom Lateinischen „satis est“ – „es ist genug“, heißt das. Wenn wir unseren Hunger – den tatsächlichen und den Hunger, der sich in allerlei sonstigen Sehnsüchten und Bedürfnissen zeigt - stillen wollen, bis wir satt sind, dann können wir nicht in blinder Gier immer mehr in uns hineinstopfen. Das macht uns am Ende krank. Wir spüren, wann es genug ist, damit es uns gut tut. Dann sind wir wörtlich „satt“. Es geht um das Beste, nicht um das Meiste: Um satt zu sein, müssen wir es im Wortsinn „genug“ sein lassen. 

Aber die Gier des egoistischen Immer-Mehr macht uns nicht satt; nur neidisch, unfrei und krank. Wir sind Getriebene der eigenen Unersättlichkeit; meinen, dass wir zu kurz kommen; dass andere uns etwas wegnehmen. Das schürt Ängste und vergiftet die Stimmung. Beispiele gibt es viele. Wenn wir aber dieses echte Satt-Sein, dieses „satis est“ – es ist „genug für alle“ – bedenken und beherzigen, dann ist das eine total menschliche, eine humane Ethik, die frei und unabhängig macht. Sie befreit vom Zwang, immer mehr zu wollen. So ist es „genug“ für alle und alle werden „satt“. So können wir teilen, bis es „satis est“ - bis es genug ist: teilen mit denen, die unsere Hilfe brauchen. Bis alle wirklich und wörtlich „satt“ sind.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21009
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