SWR4 Sonntagsgedanken

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Kennen Sie einen Gutmenschen? Die sind angeblich ganz leicht zu erkennen! Erstens sind es grundsätzlich die anderen. Selber bemüht man sich vielleicht, ein mehr oder weniger anständiger Mensch zu sein. Aber wer jemand anders einen Gutmenschen nennt, meint das absolut nicht als Lob.
Ich wollte das genauer wissen und hab mich mal ein bisschen umgehört. Gutmenschen scheinen demnach so eine Art aggressive Trottel zu sein. Ständig wollen sie anständige Bürger belehren und kommen mit der Moralkeule. Führen überall Frauenquoten ein, sind gegen Tierversuche, gegen Atomkraft und im Übrigen gegen alles, was Spaß macht. Aber in letzter Zeit höre ich vor allem dann etwas über die Gutmenschen, wenn es um Flüchtlinge geht. Da sollen sie geradezu verantwortungslos sein. Darüber empören sich viele und sagen: Die Gutmenschen lassen es zu, dass unser Land überfremdet wird! Sie verschwenden unser Geld und verraten unsere Kultur, heißt es. Auch die Bundeskanzlerin ist jetzt so ein Gutmensch geworden, lese und höre ich überall.
Also, das ist klar: ein Gutmensch will keiner sein, wenn die so drauf sind! Aber was dann? Ein Schlechtmensch? Ja wohl eher nicht. Aber was ist denn das Gegenteil von einem Gutmenschen? Und vor allem: Was wäre eigentlich ein guter Mensch? Denn das wäre ich schon ganz gerne. Soweit es geht, natürlich. Nur nicht übertreiben. Aber – nun doch: Ich möchte schon auf der richtigen Seite sein. Wer will das nicht! Also, was ist gut?
Die Bibel fackelt da nicht lange. Geradezu genervt schreibt der Prophet Micha: „Gott hat dir gesagt, Mensch, was gut ist, und was der Ewige von dir fordert: nichts anderes als Recht tun und Güte lieben und besonnen mitgehen mit deinem Gott.“
Was ist gut? Was soll ein guter Mensch tun? Mensch, Gott hat dir das doch längst gesagt! Recht tun. Güte lieben. Und besonnen mitgehen mit deinem Gott.
Besonnen, das gefällt mir besonders. Ich glaube, ein guter Mensch ist besonnen. Umgekehrt sicher auch: ein besonnener Mensch könnte ein guter Mensch sein. Also jemand, der nicht gleich losbrüllt. Nur weil gerade alle brüllen. Der nicht alles schon besser weiß, bevor er überhaupt einmal zugehört hat. Der nicht immer nur nach dem Augenschein urteilt. Denn manchmal sind Dinge ganz anders, als sie aussehen. Klar, manchmal auch nicht. Aber weiß man das immer schon vorher?
Darum ist es gut, erst einmal einen Gang runterzuschalten. Manchmal muss man natürlich sehr schnell entscheiden. Vielleicht, bevor man alles zu Ende gedacht hat. Woran kann man sich dann orientieren?

Micha sagt: Tu das Recht. Das Recht: das sind die Gesetze, Regeln und Verordnungen. Die gelten in Deutschland für alle. Wer sich daran hält, der ist auf der sicheren Seite.
Doch so einfach ist es nicht. Wahrscheinlich kennen viele von Ihnen Beispiele, wo dann Menschen doch irgendwie Unrecht geschehen ist. Sie haben sich an das Recht gehalten, doch ihr Recht nicht bekommen. Und dann haben sie sich nicht getraut, um ihr Recht zu kämpfen. Es hat ja doch keinen Zweck, sagen sie resigniert.
Gut, manchmal lohnt es sich auch nicht. Der Klügere gibt nach, heißt es ja. Aber wenn es dann sozusagen um Leib und Leben geht, dann ist das doch etwas anderes. Oder wenn die Rechtsentscheidung so unmenschlich daherkommt, dass sie wie Unrecht wirkt.
Da braucht es dann das Zweite, was der Prophet sagt: Güte lieben. Recht ohne Güte – ja, das kann schon mal unmenschlich werden! Recht mit Güte: Ich glaube, das ist Besonnenheit.
Denn Besonnenheit, das heißt ja nicht nur: Ich brülle nicht gleich los. Das heißt auch: Ich prüfe noch einmal sorgfältig, ob meine Entscheidung wirklich richtig ist. Nur weil sie rechtens ist, ist sie vielleicht noch lange nicht richtig.
In unserer Kirchengemeinde hat uns ein ganz junger Mann um Hilfe gebeten. Er kommt aus Somalia. Das Recht verlangte, dass er unser Land verlassen soll. Aber die Rechtsanwältin warnte uns, dass er dann höchstwahrscheinlich in ernsthafte Gefahr geraten würde. Was nun? Wir haben uns so entschieden: Wir geben ihm Schutz in den Räumen unserer Kirche und bitten den Staat, das alles noch einmal genau zu prüfen. Sind wir jetzt unverbesserliche Gutmenschen?
Ich glaube, dass wir vor allem Menschen sind, die an das Recht glauben. Zum Beispiel aber auch an das Recht jedes Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das sind Menschenrechte. Jeder Rechtsstaat muss die achten. Und in einem richtigen Rechtsstaat wie unserem entscheidet das am besten nicht einer allein. Sondern da gibt es Möglichkeiten, zu widersprechen, noch einmal zu prüfen, andere Meinungen einzuholen. Gut, dass das in Deutschland so ist! Jetzt darf der junge Mann hier bleiben, lernt Deutsch und wartet, wie endgültig über ihn entschieden wird.
Wenn du ein guter Mensch sein willst, sagt der Prophet Micha, dann tu das Recht. Liebe die Güte. Ja, ich glaube, das ist doch das Wichtigste: die Güte lieben. Es lieben, gütig zu sein. Anderen freundlich und herzlich begegnen. Ist das Gutmenschentum? Nein, das ist einfach nur gut!

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