SWR4 Sonntagsgedanken

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Frère Roger - der unscheinbare "Star" von Taizé

Es war während des Weltjugendtages in Köln – heute genau vor zehn Jahren. Da platzte die Eil-Meldung herein: Frère Roger Schutz ist tot. Der Gründer der Gemeinschaft von Taizé in Burgund wurde ermordet – mit 90 Jahren. Und da hatte der Weltjugendtag ein neues Thema. Taizé und Frère Roger: das ist für viele Jugendliche ein Teil ihrer religiösen Biographie. Zigtausende fahren Jahr für Jahr nach Taizé: sie beten, stellen Fragen, treffen andere Jugendliche, sprechen über ihr Leben und ihren Glauben. Auch zehn Jahre nachdem er starb erinnern sich viele an den kleinen, zierlichen, fast unscheinbaren Mann, der so viel bewegt und erreicht hat, ganz ohne viel Brimborium und Tamtam. Ich erinnere mich, als ich selbst zum ersten Mal in Taizé war. Das war während meiner Zivildienstzeit. Frère Roger saß jeden Tag beim Gebet in der großen Hallenkirche dabei. Ganz hinten, als letzter unter den Brüdern. Einer unter vielen. Mich hat das damals beeindruckt, wie schlicht es in der Kirche in Taizé zugeht. Tausende von Jugendlichen – und dann diese besondere Atmosphäre während der Gebetszeiten. So ganz anders als ich bisher von Kirche kannte. Erst ganz am Ende der abendlichen Gebetszeiten ergriff Frère Roger das Wort und sprach leise, fast gehaucht, ein paar Besinnungsworte, ein Gebet. Und dann diese eingängigen Taizé-Lieder, bei deren ständigen Wiederholungen des Refrains jeder seinen Gedanken nachgehen konnte. Immer wieder bin ich danach nach Taizé gefahren: mal mit schwierigen Lebensfragen, mal einfach zum Abschalten und Auftanken. „Taizé ist so, wie die Kirche und die Welt sein sollten“, so hat es mal eine Jugendliche auf den Punkt gebracht. Woche für Woche kommen Zigtausende: Ukrainer und Argentinier, Polen und Amerikaner, Kenianer und Neuseeländer: Aus allen Gesellschaftsschichten, nicht nur die „Frommen“. Vorurteile werden beim Gespräch und gemeinsamen Arbeiten abgebaut oder kommen gar nicht erst auf. Hautfarbe und Konfession, Geschlecht oder Herkunft spielen keine Rolle. Unterschiede wecken Interesse beim anderen und dienen nicht als Abgrenzung. Eigentlich Selbstverständliches, aber doch weiß jeder, wie selten das sonst im Alltag gelingt. In Taizé geht das, da herrscht eine ganz eigene Stimmung. Bruder Alois, der heutige Vorsteher der Gemeinschaft, hat mal sagt: „Wenn ihr nur einen einzigen Satz, den ihr hier gehört, gesungen, gebetet oder gelesen habt, mitnehmt nach Hause und danach euer Leben ausrichtet, dann hat Taizé sein Ziel erreicht.“ Man kann Taizé nicht einfach in den Alltag kopieren. Und doch: Vielleicht ist es nur dieser eine Satz: „Taizé ist so, wie die Kirche und die Welt sein sollten“ – oder so, wie sie sein könnten, wenn einer anfängt: Einer, wie vor 75 Jahren Frère Roger, als er mitten im Krieg die ökumenische Gemeinschaft von Taizé gründete.

Aus den Quellen von Taizé im Alltag leben...  

Heute geht es in den Sonntagsgedanken um die Brüdergemeinschaft von Taizé und ihren Gründer Frère Roger, der heute vor genau zehn Jahres gestorben ist.

Die Gemeinschaft von Taizé in Burgund ist bekannt für ihre Gesänge. Ein Lied hat sich schnell zu einem der "Lieblingslieder" der Jugendlichen entwickelt, die dort jährlich zu Tausenden hinpilgern: "Let all who are thirsty come..." – Da heißt es: "Wer durstig ist, der komme. Wer will, empfange umsonst das Wasser des Lebens!" Durch die ständigen Wiederholungen des Refrains prägt sich die Liedzeile tief ein. So ging es mir auch mit diesem Lied: Lasst alle, die durstig sind, kommen! Wie viel Durst spüren wir in uns und um uns herum. Durst, der nicht mit Wasser gestillt wird: Durst nach Leben. Durst nach Gerechtigkeit, Durst nach Liebe, Durst nach dem Wort, das eine eingetrocknete Beziehung wieder aufleben lässt. Durst nach Trost in den Schicksalsschlägen des Lebens. Durst auch nach Angenommen-Sein und Heimat. Wie eingetrocknet und vertrocknet kommt uns unser Alltag oft vor! Der gleiche Trott im Beruf. Die gleichen Sorgen in der Familie. Die unbeantworteten Sehnsüchte. Was ist da alles abgestanden, ja abgestorben - nicht mehr genährt von einer Quelle der Lebensfreude. Oder vor sich hin modernd im "Um-sich-selber-Kreisen": wie ein Tümpel, der kein Frischwasser mehr erhält und kippt. „Lasst alle, die durstig sind, kommen!“

Doch Sie haben wahrscheinlich – genau wie ich – auch schon andere Erfahrungen gemacht, auch in meiner Kirche. Wie gehen wir da um mit denen, die durstig sind nach dem guten Wort, nach Angenommen-Sein? Die durstig sind nach Heimat und als Flüchtlinge zu uns kommen? Oder die, die fragen nach dem Sinn des Lebens und einem Grund für Hoffnung in dieser scheinbar trostlosen Welt? Und die dann sprachlose Trockenheit spüren statt Lebensfreude? Wie behandeln wir die, die nach den Quellen fragen? Wie hartherzig, ängstlich und kleinkariert sind wir da oft! Haben Angst, selbst zu kurz zu kommen, wenn wir etwas abgeben, teilen sollen. Und doch: Wer durstig ist, der komme! Wer will, empfange! - Wer aus Gottes Quelle lebt, der braucht nicht neidisch auf andere zu blicken, die auch schöpfen wollen aus seiner überfließenden Liebe. Gott schenkt "Leben in Fülle" (Joh 10,10), sagt die Bibel. Haben wir das vergessen – oder können es nicht glauben?

 

Wie hat es Frère Roger einmal gesagt: „Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast. Und wenn es noch so wenig ist. Aber lebe es.“ Es gibt viele Möglichkeiten, damit anzufangen. Schon heute.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=20377
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