SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

Haben Sie schon mal Brot gegessen, bei dem der Bäcker das Salz vergessen hatte? Mir ist das einmal passiert. Ich kann Ihnen sagen – das vergesse ich nie! Ein Geschmack wie eingeschlafene Füße!
Aber das Gegenteil habe ich auch schon erlebt: Ein Essen, das so versalzen war, dass ich den Geschmack noch nach drei Tagen im Mund hatte!
Salz darf also auf keinen Fall fehlen. Aber es kommt auf die richtige Menge an.
Das hat Jesus genauso gesehen. Ihr seid das Salz der Erde, sagt er seinen Jüngern. Ich übersetze das mal: Ohne euch ist die Welt ungenießbar! Eben wie Brot ohne Salz.
Sind wir Salz der Erde, Sie und ich?
Menschen, die sich heute auf Jesus berufen, versuchen in der Regel, friedlich zu leben. Sie wollen niemandem wehtun. Sie suchen den Ausgleich. Das ist ja eigentlich auch ganz richtig. Denn wenn immer nur gestritten wird, dann ist das wie ein versalzenes Essen.
Aber ich finde: Wenn wir jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gehen, dann wird das Leben ungenießbar. Dann bleibt alles, wie es ist. Auch das, was eigentlich nicht so bleiben kann. Man muss sich ja nicht gleich anschreien oder mit Steinen werfen. Und Attentate und Terroranschläge im Namen Jesu – die braucht wirklich keiner! Gott sei Dank gibt es andere Wege, um seine Meinung zu äußern.
Viele hoffen ja, dass sich Streitfragen von selbst erledigen! Man redet nicht drüber, man will ja nicht streiten – aber deswegen bin ich doch anderer Meinung als der da und finde eigentlich völlig hirnrissig, was er sagt! Und dann kommt es irgendwann hintenherum raus.
Ihr seid das Salz der Erde, sagt Jesus. Wenn das Salz nichts mehr taugt, dann muss man es wegschütten. Ich verstehe das so: Mischt euch ein! Haltet nicht mit eurer Meinung hinterm Berg! Scheut eine notwendige Auseinandersetzung nicht!
Wie gesagt: Es kann auch zu viel sein. Jesus wollte bestimmt nicht, dass wir Querulanten und Nervensägen werden. Oder schlimmer noch: dass wir solange hetzen und aufstacheln, bis es Krieg gibt. Anscheinend hat er aber auch nicht gewollt, dass Christen alle Konflikte unter den Teppich kehren und immer so tun, als ob alles in Ordnung ist.
Aber warum sollte ich mich als Christ überhaupt irgendwo einmischen? Weiß ich etwa alles besser? Bin ich so wichtig, dass ich zu allem meinen Senf dazugeben muss?
Jesus zeigt mir: Wie das Salz bin ich vielleicht nicht entscheidend, aber unverzichtbar. Salz allein macht noch kein Brot und keine Suppe. Aber ohne Salz schmeckt das alles nicht.
Ich habe manchmal Angst, meine Meinung zu heftig zu sagen. Angst, dass es dann Streit gibt. Zu viel Salz sozusagen. Da macht Jesus mir Mut, mich einzumischen, ohne mich ständig in den Vordergrund zu spielen.

Ein Beispiel: die Flüchtlingspolitik. Darüber reden ja im Moment eigentlich alle. Die Politiker, die Medien, die Nachbarn. Muss ich denn dann als Christ auch noch was dazu sagen?
Ja, ich meine schon. Nicht, dass Sie jetzt denken, ich hätte die Lösung für das große Problem. Ich weiß keineswegs alles besser! Und ich bin auch kein besserer Mensch als zum Beispiel die Sachbearbeiter in den Ämtern.
Aber ich versuche, die Menschen so zu sehen, wie Jesus sie vielleicht sehen würde. Ich muss keine Paragraphen umsetzen. Aber dann kann ich mich auch nicht hinter ihnen verschanzen. Ich habe keine Patentlösung. Ich sehe Menschen in Not. Manches verstehe ich nicht. Vieles bleibt mir fremd. Aber ich höre und sehe, was den Fremden vor mir bedrückt. Und es reicht schon, dass ich da bin, dass ich einfach Mensch bin und auch in dem Fremden einfach einen Menschen sehe. Jemanden, an dessen Sorgen ich Anteil nehmen kann. Mit dem ich aber auch lachen und feiern kann. So, meine ich, hat Jesus die Menschen angesehen. Als Menschen eben. Als Schwestern und Brüder. Ich glaube, das ist die Prise Salz, die manchmal fehlt.
Denn wenn ich die Flüchtlinge unter uns als Menschen sehe, sogar als Schwestern und Brüder: Dann werde ich etwas sagen, wenn Leute so tun, als wüssten sie es besser. Wenn sie mit keinem Flüchtling persönlich gesprochen haben, aber genau wissen, dass „die“ alle nur in unsere Sozialsysteme einwandern wollen. Wenn Politiker die Flüchtlinge einteilen in solche, die Schutz brauchen, und solche, die es angeblich nicht brauchen. Wenn Leute nicht mehr hingucken und dann natürlich den einzelnen Menschen und sein Schicksal auch nicht mehr wahrnehmen.
Manchmal wird es dann richtig unbarmherzig. So wie neulich, als die Polizei mitten in der Nacht einen jungen Somalier aus seinem Bett geholt hat. Ein halbes Kind noch. Er sollte abgeschoben werden. Irgendwie ging die Sache schief und er ist wieder da. Aber wir haben in unserer Kirchengemeinde beschlossen, dass wir ihn in unseren Räumen aufnehmen wollen, bis die Gefahr für ihn vorüber ist. Bevor er wieder irgendwohin geschickt wird, wo keiner auf ihn wartet.
Wir versuchen jetzt, Salz der Erde zu sein. In einer Welt, die für viele Menschen längst ungenießbar geworden ist. Barmherzig zu sein, menschlich zu sein. Aber eben notfalls auch unbequem.
Salz der Erde: damit das Leben allen schmeckt.

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