SWR1 Begegnungen

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Man muss sie fragen, so lange sie sich noch leben und sich erinnern. Die Zeitzeugen und Gründungsväter unserer Republik.
Erhard Eppler gehört dazu. Der heute 80 jährige ist über seine Partei, der SPD hinaus ein viel gefragter Ratgeber. Die Anfänge der Studentenbewegung hat er als Regierungsmitglied miterlebt und stand im Mittelpunkt ihrer Kritik.

Ich bin ausgerechnet im Jahr 68 Bundesminister geworden. Und ich war auch noch für die Entwicklungshilfe zuständig, ich war also für die 68er ein besonders widerliches Subjekt, das die Ausbeutung der dritten Welt mit leeren Phrasen bemäntelte, so etwas. Aber ich habe dann von 1967/70 an das Gefühl gehabt, da ist etwas dahinter, was man ernst nehmen muss. Mindestens die Fragen, nicht die Antworten, aber die Fragen.

Teil 1
Wir sitzen im Wintergarten des Hauses, in dem er groß geworden ist. Vor uns eingewachsener Garten- hier hat er als Kind gespielt, hier will er seinen Lebensabend verbringen.
Erhard Eppler gehört zum politischen Urgestein unserer Republik. Sein Weg wäre anders verlaufen, hätte er nicht geistige Väter gefunden, die ihm zum Vorbild wurden. Er studierte zwar keine Theologie, aber den Theologen Karl Barth hörte er regelmässig in Bern, wo er ein Stipendium hatte. Unvergesslich dessen Vortrag über die Kirche zwischen Ost und West.

Und das hat mich aufgewühlt und als ich nach Deutschland zurückkam 1949, da kam die Diskussion über die Frage der Aufrüstung und militärische Westbindung und da war ich plötzlich mitten in der Diskussion an der Universität drin und als der Heinemann eine Partei gründete, hat er mich gefragt, ob ich mitmache. Und da hab ich eben mitgemacht.

Das war damals die GVP, die gesamtdeutsche Volkspartei. Eppler war davon überzeugt: wenn die Alliierten dem zerschlagenen Deutschland eine Chance geben wollen, dann müssen wir die Chance nutzen und sie mitgestalten.

Da bin ich mit der NSU Quick 98 Kubik auf Wahlkampf gegangen für Gustav Heinemann, bis ich oberhalb von Karlsruhe auf damals noch gepflasterter Autobahn ausgerutscht bin und dann im Krankenhaus in KA wieder aufgewacht.

Was für ihn zwar das Ende dieses Wahlkampfes bedeutete, aber zugleich den Anfang einer politischen Laufbahn, die steil nach oben ging. 1968 wurde er erst im Kabinett Kiesinger, dann im Kabinett Willy Brandt Entwicklungshilfeminister. Als der war er für die Studentengeneration automatisch der so genannte Klassenfeind. Oft wurden seine öffentlichen Auftritte niedergeschrieen. Da er immer ein Vertreter des linken Flügels der SPD war, galt er vielen Vertretern der Konservativen, allen voran dem baden- württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger als Sympathisant der linken Terrorszene.

Ich habe den Terror damals deshalb so schlimm gefunden auch, weil er politisch unsere Gesellschaft nicht nach links sondern nach rechts verschoben hat. Und man musste ja, wenn man als links galt, erstmal beweisen, dass man niemanden umbringen wollte.

Obwohl die Linke damals unter Generalverdacht stand, war ihm wichtig, die Anliegen der Studentenbewegung zu verstehen und ihre Fragen weiterhin ernst zu nehmen:

Die Frage, wie gewinnen wir wirklich die Distanz zu dem Hitlerreich, wie sind wir bereit, einmal uns einzulassen auf die Frage, was wir damals wenn nicht getan so doch zugelassen haben. Und das andere war, die der Blick auf die Dritte Welt- dass man überhaupt die Dritte Welt ins Blickfeld bekam, war ja immerhin schon etwas, und dann kam ja gegen Schluss der Bewegung kam auch die Ökologie rein. Und deshalb ist ja ein Teil der 68er auch bei den Grünen gelandet.

Wie damals vermisst Erhard Eppler auch heute eine Kultur des fruchtbaren Streitens. Die fand er nur in der Kirche, genauer, beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, in dessen Vorstand er viele Jahre mitgearbeitet hat.


Teil 2

Kirchentag in Hannover 1983, Nachrüstungsdebatte- lila Tücher mit der Aufschrift: „wir sagen Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungswaffen.“ Damals war Erhard Eppler Kirchentagspräsident, und sorgte dafür, dass Soldaten und Kriegsgegner offen und fair miteinander streiten konnten.

Für mich hat war der Kirchentag wichtig, wegen seines Stils und seiner Offenheit und seiner Art, wie man mit Menschen umgeht. Es gab deshalb Politiker, die konnte man einladen und andere, die konnte man nicht einladen, weil sie diesen Stil nicht übernehmen konnten. Zum Beispiel die Rita Süßmut konnte man immer einladen, aber den Helmut Schmidt eben nicht. Der Kirchentag hat eben gezeigt, wie man aus christlichen Glauben heraus miteinander umgehen kann. Und das hat natürlich in die Politik hineingewirkt.

Ein respektvolles Streiten war damals nicht jedem gegeben. Und er vermisst es bis heute. Öffentliche Debatten, in denen sachlich und fair gestritten wird, in respektvollem Umgang mit der Person des Kontrahenten. Eine solche Streitkultur zu befördern sieht er als eine der wichtigen Aufgaben der Christen in dieser Gesellschaft an. Die zweite Aufgabe, die Kirche in der Gesellschaft hat, ist, dem gängigen Menschenbild in die Parade zu fahren und zu zeigen, was eigentlich der Mensch ist.

Wir haben inzwischen ein so ökonomistisch verengtes Menschenbild. Der Mensch ist ein Mensch, der am Markt sich betätigt, der versucht, möglichst billig einzukaufen und seine Arbeit möglichst teuer zu verkaufen, und das soll er auch tun, soll seinen Egoismus ausleben und wenn das alles tun, dann ist da ja schließlich gut. Diese Mentalität widerspricht nun wirklich dem Neuen Testament diametral- einer trage des andern Last!

Dieses Gebot Jesu nimmt Erhard Eppler ernst. Denn der Mensch ist immer auf den Menschen angewiesen ist. Davon ist er überzeugt. Und er findet nur mit den anderen zu sich selbst.

Die Vorstellung einer Selbstverwirklichung im Egoismus halte ich für töricht. Zum Beispiel ein Vater von fünf Kindern, der wirklich für seine Kinder sorgt, der bildet sich dabei auch und wird dabei manchmal eine ganz sympathische Persönlichkeit und verwirklichst sich selbst auch. Während ein Single, der irgendwo in einer Bude hockt und im Übrigen drüber nachdenkt, wie er sich selbst verwirklicht, ist ja doch eher ne komische Figur.

Als Politiker und vierfacher Vater weiß Erhard Eppler wohl, wovon er spricht. Bis heute hat er nicht vergessen, was er seinen geistigen Vätern verdankt. Einer davon war Willy Brandt, dem er sehr verbunden war.

Er hat ein großes Bedürfnis gehabt, sich in andere Menschen hineinzudenken und auch die Fähigkeit gehabt und sie gewähren zu lassen so weit es irgendwie ging und sie zu fördern und von ihrer Leistung natürlich was für die Partei zu profitieren.

Menschen, die unter dem Druck der Macht reifen und andere groß sein lassen können- sie sind ein unersetzlicher Schatz für unsere Gesellschaft. Erhard Eppler gehört zu ihnen. Gebe Gott, dass uns auch in Zukunft solche Männer und Frauen in der Politik geschenkt werden. Und dass wir sie groß sein lassen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2000
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