Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wolfgang Herrndorf hat Malerei studiert. Bekannt ist er aber vor allem als Schriftsteller geworden. Tschick ist der Titel seines größten Erfolgs. 2010 erschienen. Im gleichen Jahr wurde bei ihm ein bösartiger Hirntumor diagnostiziert. Am 26. August 2013 hat er seinem Leben selbst ein Ende gesetzt.

Erst jetzt sind neue Malereien von Wolfgang Herrndorf aufgetaucht. Auf einem dieser unbekannten Cartoons steht Folgendes: „Der Beweis, dass es Gott nicht gibt. Hamster im Schraubstock.“ Abgebildet ist genau das: ein Hamster im Schraubstock, so eingequetscht, dass Blut fließt. Eine erbarmungswürdige Kreatur. Eine Schande für den Menschen, der das getan hat. Und: Für Wolfgang Herrndorf ein Hinweis darauf, dass es Gott nicht geben kann, wenn in der Welt so etwas möglich ist. In der Welt, die Gott geschaffen hat.

Was ist mit dem Leid? Was hat das für einen Sinn? Für Herrndorf steht diese Frage offenbar in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Glauben an Gott: Kann es Gott geben bei allem Leid auf der Welt? Was ist das für ein Gott, der das zulässt? Das gequälte Tier stellt Gott in Frage. Hinzu kommt, dass auf dem Hintergrund von Herrndorfs eigener Lebensgeschichte dieses Thema eine erschreckende Präzision bekommt. Es ist ja bloß ein kleiner Schritt, in dem Hamster im Schraubstock den Künstler selbst zu sehen.

Wolfgang Herrndorf setzt sich schonungslos mit dem bevorstehenden Sterben auseinander. Und weil er nichts ausrichten kann gegen sein „Todesurteil“, macht er, was vor ihm schon so viele andere getan haben: Er wendet seine Hilflosigkeit gegen Gott. Wen soll er auch sonst verantwortlich machen? Ich verstehe das nur zu gut. Und ich will und brauche Gott nicht zu ersparen, dass er deshalb in Frage gestellt wird. Wenn Menschen leiden, dann sollten sie das nicht in sich hineinfressen, sondern davon erzählen. Es ist menschlich und gut zu klagen. Und es ist religiös sehr angemessen, Gott anzuklagen. Er ist die richtige Adresse dafür.

Auf der anderen Seite denkt Herrndorf Gott zu klein. Finde ich. Bei allem Respekt für seine Sichtweise. Als ob Gott lediglich für die grausamen Umstände verantwortlich wäre, die es auf unserer Welt gibt. Für viele ist Gott mehr. Sie finden Trost bei ihm. Sie sehen ihn als Ziel von allem an, gerade dann, wenn die persönliche Welt ins Wanken gerät. Aber das geht über das hinaus, was wir sehen. Und es lässt sich nicht so gut zeichnen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19985
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