SWR2 Zum Feiertag

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"Zu Fronleichnam" -ein ökumenisches Gespräch zwischen dem evangelischen Rundfunkpfarrer Wolf-Dieter Steinmann und Dr Johanna Rahner, Professorin für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der katholischen Fakultät der Universität Tübingen.

I) „Ökumenisch klug“ = bescheiden?

Steinmann:
Frau Rahner, seit gestern ist in Stuttgart der DEKT und findet statt unter dem Motto „dass wir klug werden“. Im Vorfeld haben verschiedene Menschen den Versuch unternommen, heute an Fronleichnam vielleicht doch einen ökumenischen Gottesdienst hinzukriegen und den dann auch im Fernsehen zu übertragen. Leider  - sage ich jetzt – kommt der Gottesdienst heute nicht aus Stuttgart.
Musste ich mal wieder ökumenisch „klüger“ werden, im Sinne von ‚bescheidener“,
weil ich über das hinausgeschossen bin wo die Ökumene steht?

Prof. Rahner:
Ich glaube nicht, dass das an Ihrer Idee liegt, ich halte sie für sehr klug. Die Antwort darauf ist vielleicht nicht ganz so klug gelaufen.
Ich geh mal davon aus, dass es wieder die üblichen katholischen Probleme waren, an einem Feiertag….

Steinmann
Na, es war auch evangelisch.

Prof. Rahner
Erstaunlich. Ja Fronleichnam könnte ein bisschen Beschwernis für evangelische Christen und Christinnen auch heute noch haben, wenn man die eingefleischten Attitüden pflegt, dass da mit der Verehrung des Leibes Christi und dem Herumgetrage von Brotsgestalten doch eher eine polemisch konfessionelle Konnotation verbunden ist als eine ökumenische.

Steinmann:
Also Sie hätten es schön und klug gefunden?

Rahner:
Ich hätte es schön und klug gefunden, weil diese Symbolik, dass die Wirksamkeit des Christusereignisses hinauszutragen ist in die Welt, eine durchaus ökumenische ist.

II) Katholische Kirche: Kirche der Reformation

Steinmann:
Die Vorbereitungen auf das Reformationsjahr 2017 laufen. Verbunden mit viel Kritik u.a. auch an der EKD, an der Art und Weise, was sie zu feiern gedenkt und wie sie zu feiern gedenkt. Was läuft bei diesen Vorbereitungen unklug?

Prof. Rahner:
Die EKD ist schon klüger geworden in den letzten Jahren. Sie hat einiges dazugelernt auch von den Reaktionen der Anderen. Die anderen, das sind nicht nur katholische Christinnen und Christen, sondern das sind auch andere Reformierte, die sehr irritiert waren, über die ursprüngliche Fokussierung, das Ganze als „Lutherjubiläum“ zu feiern.
Weil natürlich die Geschichte solcher Festivitäten auch negative Konnotationen – insbesondere in Deutschland – hat, wo Luther 1817, 1917 zum „Deutschen Nationalheld“ stilisiert wurde. Sie entkommen bei einer solchen Konzentration auf das „Lutherjubiläum“ nicht irgendwelchen Stereotypen. Und das ist was am Anfang nicht gut gelaufen ist.
In der Zwischenzeit hat man sich etwas breiter dh. internationaler und auch überkonfessioneller aufgestellt. Dieses eigentlich gemeinsame Jubiläum und Gedenken einer epochalen Veränderung in der religiösen Landschaft jetzt auch mal zur Stärkung einer ökumenischen Identität zu nutzen, da könnte man durchaus noch klüger werden.

Steinmann:
Sie haben zwei Begriffe verwendet, die immer wieder eine Rolle spielen. Ist es ein Jubiläum, ist es ein Gedenken? Ein katholischer Bischof (Joachim Wanke) hat einmal gesagt: ‚Als katholische Christen können wir die Reformation nicht feiern, wir können ihrer gedenken?

Prof. Rahner:
Das ist natürlich auch so eine Stereotype auf katholischer Seite, weil man immer noch denkt, Reformation ist eigentlich eine Angelegenheit der Anderen. Ich bemerke aber in der wissenschaftlichen Theologie - und so langsam zieht auch die Kirchenleitung ein bisschen nach – eine veränderte Einstellung zu dem ganzen Phänomen.
Wenn Sie es wirklich als kulturgeschichtliches Ereignis wahrnehmen, dann merken Sie auf einmal Reformation ist eine durch und durch auch katholische Angelegenheit. Dh. die katholische Kirche hat durchaus auch im positiven Sinn von der Bewegung der Reformation profitiert, so dass man heute könnte: Auch die katholische Kirche ist eine „Kirche der Reformation“. Sie wäre zumindest eine andere ohne die Reformation und nicht unbedingt eine bessere.
Es ist ein Epochebruch, der Grundlegendes in Frömmigkeit, Spiritualität, in Glaubensleben etc aufnimmt, neu setzt und ich glaube, wir müssten daran arbeiten, eine positive Einstellung zu dem Ganzen zu gewinnen, also nicht nur auf das Ergebnis des Geschehens, die Kirchenspaltung zu gucken, sondern , was das ist etwas, was natürlich auch die Katholische Kirche nicht nur mit einer gewissen Larmoyanz bedenken sollte, sondern sie kann durchaus auch das Ganze in einem sehr positiv-freudigen Sinn aufnehmen.

Steinmann:
Ich fand auch einen spannenden Gedanken, was Alois Glück vorgeschlagen hat, Präsident der katholischen Laienbewegung für den Katholikentag. Er hat vorgeschlagen, dass man gemeinsam Bußgottesdienste feiern sollte, im Gedenken daran, was sich Protestanten und römisch- katholische Christenmenschen angetan haben.

Prof Rahner:
Das ist eine Seite, was sicher 2017 durchaus im Blick sein muss, weil die Reformation als genau dieser epochale Bruch auch ihre negativen Schlagseiten natürlich hat. Das gilt nicht nur für das Verhältnis Katholiken Protestanten, sondern gerade innerprotestantisch kann man sehr gut eine Schuldgeschichte auch aufweisen, wenn man den „linken Flügel“ der Reformation, also die Täuferbewegung, die Schwärmer etc und den Umgang mit diesen Bewegungen anguckt. Das ist reichlich Blut geflossen. Wir haben beide da auch eine Schuldgeschichte und da gehören natürlich auch Bußgottesdienste dazu.
Aber darüber hinaus ist, glaube ich, auch daran zu arbeiten, diesen epochalen Bruch als religiöses Ereignis, das die religiöse Szene nicht nur in Europa, sondern weltweit völlig verändert, auch in ihren positiven Auswirkungen gemeinsam bekennen zu können.

Luthers Aktualität: Angst, Glaube und Vertrauen

Steinmann:
Dieses Anknüpfen an Bußgottesdienste, das wäre für mich eigentlich auch eine unmittelbare Anknüpfung an Luther. Und zwar an das, was man so symbolhaft mit dem 31. Oktober verbindet. Der Thesenanschlag ist ja eigentlich eine Diskussion gewesen, über das zu diskutieren, dass das christliche Leben ein permanentes sich Erinnern auch an die eigene Schuldhaftigkeit und damit auch an die eigene Erlösungsbedürftigkeit ist.

Prof Rahner:
Das könnte man sehr gut zusammenbringen mit dem heute eher als Platzhalter fungierenden „wir wollen gemeinsam ein Christusfest feiern“. Das wird ja sozusagen auch als Titel auf 2017 propagiert. Und ich frage mich immer, wofür steht der Titel „Christusfest?“ Und das wäre sicher ein guter Weg, zu gucken:
Worauf kam es Luther an in Bezug auf das Christusereignis?
Was ist wirklich das Bahnbrechende und das Grundlegende, was ihn - zusammen mit dem was in dieser gesamten Epoche los war - auf diese Spur bringt, darüber nachzudenken: Was ist der Mensch im Verhältnis zu Gott?
Wie verhält sich Gott zu diesem Menschen?
Wie können wir tatsächlich diesen zugewandten Gott erfahren?
Und Luther ringt ja darum sozusagen, den gerechten und den barmherzigen Gott wirklich in seiner konkreten Lebenserfahrung wahrnehmen zu können, nicht nur die strafende, sondern die rettende Seite Gottes.
Und ich glaube, das ist etwas, was als Anliegen eine der großen Menschheitsfragen darstellt, nämlich: die Erfahrbarkeit, ja, Gottes, eines transzendenten Grundes unserer eigenen Existenz, das Antwort geben könnte auf die Frage:
Gibt es da noch etwas Anderes als das was wir jetzt hier als Wirklichkeit um uns haben, was wir zT auch als sehr beschränkt erfahren müssen.

Steinmann:
Für mich ist so ein Schlüsselbegriff, wenn ich mich an Luther annähere: Angst, Furcht. Viele Konflikte, die in der Welt momentan wahrnehme, seien sie groß, seien sie aber auch im zwischenmenschlichen oder menschlichen Bereich, haben immer auch irgendwas mit Angst zu tun: Vor der Zukunft, vor anderen, die sich nicht so entwickeln, wie man es selber gern hätte, ich denke dabei auch an politische Konflikte. Wir haben die Angst vor Flüchtlingen.
Und wenn ich mich erinnere, dann sehe ich das bei Luther irgendwie ähnlich. Also der war doch ein von Angst Getriebener. Und sein Glaube ist die Existenzgrundlage gewesen, mit der es ihm gelungen ist, mit dieser Angst auch so umzugehen, dass er nicht darin untergegangen ist.

Prof Rahner:
Das ist ein interessanter Begriff. Ich glaube, der verbindet tatsächlich diese Lebenserfahrung dieser Epoche, die ja 500 Jahre her ist, mit unserer heutigen Zeit. Beim Begriff Angst, da müssen Sie bei Luther natürlich aufpassen: Es sind auch gesellschaftliche, politische Konstellationen, die eine vollkommene Unruhe, weil eine Umbruchssituation erzeugen.
In ähnlicher Weise ist es, glaube ich, heute: Wobei wir gewohnt sind, die Perspektive einfach zu individualisieren, also das Problem der Angst zu einem persönlichen Problem zu machen und da eher therapeutische Hilfe zu suchen. Das Ganze aber nicht als gesellschaftliches Phänomen wahrnehmen.
Wobei genau das, was Sie geschildert haben, die politischen Spannungen, auch die Frage von Flüchtlingen, von Existenzängsten. Das natürlich auch etwas ist, was Unruhe und Unsicherheit erzeugt.
Die Frage ist natürlich, ob da der Glaube an einen sich Menschen zuwendenden und helfenden Gott, da hilfreich sein kann. Und das ist, glaube ich, eine Grundfrage, die alle Religionen, insbesondere auch die christlichen Konfessionen, grundlegend umtreibt. Wie heute in einer globalisierten, religiös pluralen, fast auch säkularisierten Welt, wie heute da tatsächlich die Frage nach Gott noch präsent sein kann und etwas zu sagen haben kann für die Menschen in ihren Sehnsüchten, Sinnsuche. In ihren Ängsten.

Steinmann:
Frage ich Sie persönlich an dieser Stelle. Gibt es etwas, was Luther Ihnen zuspielt was für Sie persönlich und als Theologin auch wichtig ist?

Prof Rahner:
Ich glaube, es sind zwei Aspekte: Zum einen ist es dieses Ringen. Sein ganzes Leben war von einer Zerrissenheit geprägt, die ständig darum kämpfen musste, vertrauen und glauben zu können. Und das ist etwas, was ihn vielleicht mit heutigen Menschen, die auch auf der Suche sind, auch existenziell verbinden kann.
Zum anderen ist auch - und das fasziniert mich wiederum an Luther – dass er tatsächlich dieses Vertrauen entwickeln kann - also da kann die ganze Kirche um ihn zusammenbrechen, was sie dann auch tut - aber er vertraut darauf, dass er auf dem richtigen Weg ist und dass ihm Gott da beisteht und das ist natürlich eine Eigenschaft, die man heute nur bewundern kann, wo man auch ein bisschen neidisch sein kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19856
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