SWR4 Sonntagsgedanken

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Teil 1: Liebe

„Vor sieben Jahren hat unser gemeinsamer Weg begonnen. Es ist nun an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen: Wir heiraten“. So oder ähnlich beginnen die Briefe, die zur Hochzeit einladen. Gerade jetzt im Mai beginnt wieder ganz besonders „die Saison“ der Hochzeiten. Die Sehnsucht nach erfüllter Liebe hat aber keine Zeit, keine Saison. Sie ist uralt und immer gegenwärtig. Quer durch die Kunst, die Literatur, die Wissenschaft und auch die Religionen: Eine Geschichte, ebenso tragisch wie glücklich. Doch was ist Liebe?

Die Popsängerin Nena versucht in ihrem Lied „Liebe ist“ eine Antwort:

„Liebe will nicht,
Liebe kämpft nicht,
Liebe wird nicht,
Liebe ist.

Liebe sucht nicht,
Liebe fragt nicht,
Liebe ist, so wie du bist.“

„Die Liebe ist geduldig, die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. (...) Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.“

Ach, das haben Sie bei Nena so noch gar nicht gehört? Naja, zumindest der Schluss ist aus der Bibel. Und da heißt es im ersten Korintherbrief im Kapitel 13:

„Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste und alle Erkenntnis hätte; wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.“

Diese Stelle aus der Bibel wird immer wieder gerne bei Hochzeiten gelesen, ein Klassiker. Man kann sich das richtig auf der Zunge zergehen lassen: Wenn ich noch so toll wäre, noch so angesehen, reich und mächtig, noch so unabhängig und abgesichert. Wenn alles stimmen würde in meinem Leben, aber ich könnte nicht lieben und würde nicht geliebt, dann wäre alles umsonst.

Und immer wieder die Frage: Was ist Liebe?

Schon die Griechen haben früh unterschieden zwischen der Liebe, die auf das Erotische zielt, der Liebe zu einem Freund und der Liebe, die noch tiefer in die Seele trifft, die Nächsten-Liebe, wie es im Christentum dann heißt. Die Caritas, christliche Nächstenliebe, ist zentral für die Botschaft von Jesus. Sie meint den liebend-barmherzigen Blick für die Ausgestoßenen, die Ausgegrenzten, die Unbeachteten und Lästigen, die am Rand. Und die soll ich auch lieben? Jesus geht sogar noch weiter, wenn er von seinen Jüngern sogar die „Feindesliebe“ erwartet. Jeden Menschen also zu lieben, ohne Vorleistung und ohne Gegenleistung, also ohne dass es sich im materiellen Sinn „lohnt“. Gar nicht so einfach!

Teil 2: ...und dann tu, was du willst !

In einem Quiz wurden einmal Passagen aus dem Erotik-Roman „50 Shades of Grey“,  mit Zitaten aus der Bibel zusammengebracht – sodass die Kandidaten raten sollten: Ist das jetzt ein Satz aus diesem Roman oder sind es Sätze aus der Bibel? Da heißt es zum Beispiel – wohlgemerkt: in der Bibel:

Mit Küssen seines Mundes bedecke er mich. /
Süßer als Wein ist deine Liebe.
(...) Schön bist du, meine Freundin, / ja, du bist schön.
Hinter dem Schleier / deine Augen wie Tauben.
Rote Bänder sind deine Lippen/
lieblich ist dein Mund. (…)
Deine Brüste sind wie zwei Kitzlein,
wie die Zwillinge einer Gazelle, die in den Lilien weiden.

Ob Roman oder Bibel. Schön und gut. Aber wie sieht das heute aus, das mit der Liebe? Bei mir vor der Haustür? Da gibt es Lieblosigkeit allenthalben, Beziehungen gehen auseinander, Liebe stirbt ab, versandet still oder wandelt sich gar in Hass. Ehen werden geschieden, Nachbarn beäugen sich misstrauisch, verdächtigen einander, Kollegen erleben Mobbing, ganz zu schweigen von den Dramen, die sich bei nicht erfüllter Liebe und enttäuschten Gefühlen abspielen. Für den, der sich nach Liebe sehnt und das genaue Gegenteil erlebt, klingt es wie Hohn und schulzig-verkitscht, wenn da von den erfüllenden Gaben der Liebe die Rede ist.

Und doch: niemand bleibt ungeliebt. Denn niemand kann aus der Liebe Gottes herausfallen. Er hat schon längst „Ja“ zu jedem einzelnen Menschen gesagt, zu seinem Leben, zu seinem konkreten Weg. Und dieses Ja bleibt, egal durch welche Höhen und Tiefen das Leben dann verläuft, wo es hinführt und wie lieblos es sich manchmal anfühlt. Das ist oft genug sehr schwer zu glauben, und doch hilft es dem, der das glauben kann. Das schützt auch nicht vor Enttäuschungen und Rückschlägen. Aber es kann auch tröstend sein.

Die Liebe beginnt damit, sich selbst so anzunehmen, wie man ist. Schwer genug. Aber das macht frei für den liebevollen Blick auf den anderen. Nicht nach Hierarchie und Ansehen, schon gar nicht weil ich etwas dafür als Gegenleistung erwarte. Sondern einfach um des anderen willen. Wer geliebt wird und liebt, erträgt das Leben mit seinen Herausforderungen besser. Wer liebevoll auf den Tag blickt, auf das Gelungene und die Fehler, der kann den Tag später getrost zurücklegen in Gottes Hände, ohne Gram und Frust, mit Liebe eben.

Liebe macht verletzlich und trotzdem auch unschlagbar stark. Sie wird mehr, wenn man sie verschenkt. Klingt ganz schon paradox: Liebe durchbricht eben alle Gesetzmäßigkeiten.

Der Kirchenvater Augustinus hat dafür im vierten Jahrhundert eine simple Formel gefunden, die heute ebenso schlicht wie richtig ist. Er sagt: „Liebe, und dann tu, was du willst!“ Genau so.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19727
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