SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

I)  Hätte Jesus nicht am Leben bleiben können? Das frage ich mich immer wieder, wenn ich die Geschichten in der Bibel lese. Dort wird erzählt, wie Jesus auf einem jungen Esel nach Jerusalem hineingeritten ist. Und wie die Leute ihm mit Palmzweigen entgegengezogen sind und ihm zugejubelt haben. Von den Palmzweigen hat dann auch der heutige Sonntag seinen Namen bekommen: Palmsonntag. Ein Jubelsonntag also?

Nein, leider nicht nur Jubel. In der Bibel steht, da haben noch ein paar andere am Rand gestanden und sich das Ganze mit ziemlich verdrießlicher Miene angeschaut. Aber sie haben sich nicht getraut, etwas zu sagen. Noch nicht. Es hat keinen Sinn, haben sie gemeint. Schaut doch, wie ihm alle nachlaufen!

Jesus hat da wirklich ziemlich viel durcheinandergebracht. In seinem Land hat sich gerade die römische Besatzung häuslich eingerichtet. Die hat zwar keiner wirklich gerufen. Aber wo die Römer jetzt mal da waren, musste man sich ja irgendwie mit denen arrangieren. Einigen im Land ist das wirklich gut gelungen!

Und da kommt jetzt einer dahergeritten, dem jubeln sie alle zu und schreien: Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!

Da werden natürlich alle nervös, die gerne selber im Land herrschen wollen. Und auch alle, die mit diesen Mächtigen gut fahren. Die nicht wollen, dass jemand ihre Geschäfte stört.

Meine Güte, das hätte Jesus doch klar sein müssen! Man legt sich nicht ungestraft mit denen an, die das Sagen haben! Das gibt bloß Ärger. Und am Ende hing Jesus am Kreuz. War der kleine Triumphzug das wert? Was wollte Jesus bloß? Denn das, was die Leute alle gerufen haben: König von Israel – das wollte er ja gar nicht sein! Das steht sehr deutlich in der Bibel. Aber warum um Gottes Willen ist er dann nach Jerusalem gegangen?

Für die Leute, die das später aufgeschrieben haben, war die Sache klar: genau deshalb – um Gottes Willen. Gott hat das alles so gewollt. Auch das Kreuz.

Aber wollte Gott wirklich, dass Jesus stirbt? Und was wollte Jesus eigentlich selbst?

Die Menschen jedenfalls, die Jesus jetzt sehen, die fragen nicht lang. Die jubeln. Vielleicht war es ja genau das, was Jesus wollte: dass sie sich einmal gut fühlen. Dass sie einen Grund zum Jubeln haben. Wenigstens einen Tag lang. Denn beim römischen Gouverneur Pontius Pilatus, da gab es sonst nicht viel Grund zum Jubeln. Die Menschen haben sich verraten und verkauft gefühlt. Und allein gelassen.

Ob Jesus einfach gedacht hat: Da muss ich jetzt hin?

II )Ich glaube, Jesus hat den Leuten ihre Freude und die Palmzweige gegönnt.
Aber natürlich ging es ihm nicht einfach nur um eine gute Show, damit man den üblen Alltag einfach mal einen Moment vergessen kann. Und Jesus hat gewusst, wie gefährlich es ist. Das reinste Selbstmordkommando! Und es ist nicht so, dass er nicht gewarnt worden wäre! Petrus, sein bester Freund, hatte ihn eindringlich gewarnt. Doch Jesus hat ihn heftig zurückgewiesen: Du willst nicht, was göttlich ist, sondern was menschlich ist!

Ich verstehe das nicht. Ist es Gottes Wille, dass jemand in eine sichere Gefahr geht? In der er bestimmt einfach nur umkommt, ohne dass damit jemandem geholfen wird? Und wenn jemand Angst hat und sich retten will – ist das nur menschlich und am Ende sogar gegen Gottes Willen? Das kann doch nicht sein!

Aber dann fallen mir auch Menschen ein, die es ähnlich gemacht haben wie Jesus. Der evangelische Pfarrer Dietrich Bonhoeffer zum Beispiel – der ist noch 1939 aus dem sicheren Amerika nach Deutschland zurückgefahren. Er hat sich am Widerstand gegen Hitler beteiligt, kam ins Gefängnis und wurde kurz vor Kriegsende noch rasch gehenkt. Vielleicht kennen Sie sein berühmtes Gedicht: Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Oder ich denke an die jungen russischen Frauen von der Punk-Band Pussy Riot. Vielleicht erinnern Sie sich: Vor ein paar Jahren haben die in einer Kathedrale in Moskau gegen die russische Kirche protestiert, die Präsident Putin für seine ganze Unterdrückungspolitik ihren Segen gibt. Dafür kamen sie lange in Gefängnisse und Arbeitslager. Heute sind sie immer noch in Russland. Und setzen sich für die Menschen ein, die noch in diesen Lagern stecken.

So für andere da zu sein, das ist doch erst richtig menschlich. Und ich glaube, das ist das, was Gott eigentlich von uns will. Lasst die anderen nicht im Stich! Seid für sie da! Zeigt ihnen, dass sie nicht vergessen sind, dass andere Menschen an sie denken und für sie beten!

Ich bin froh, dass Jesus nach Jerusalem gegangen ist. Ich möchte manchmal am liebsten vor allem weglaufen. Ich denke dann: Ich schaffe es nicht. Ich kann einfach nicht mehr. Dann denke ich daran, wie Jesus standgehalten hat. Das hilft mir. Ich merke: Ich bin nicht allein. Und dann fallen mir auch schwere Wege leichter.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=19476
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