SWR4 Sonntagsgedanken

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I. Teil: Der "Flachlocher"

 Im ersten Moment musste ich an Loriot denken. Es war nach dem Gottesdienst. Firmung. Dann kamen die Grußworte. Ein vornehmer, älterer Herr überbrachte die Glückwünsche der Pfarrgemeinde und überreichte jedem Firmling ein kleines Geschenk: Etwas Praktisches, wie er sagte: Es war ein Bürolocher, genauer: ein „Flachlocher“. Daran ein kleines Lineal und darauf der Satz: „Gott bringt Ordnung in dein Leben!“ Wie bei Loriot – hier unfreiwillig komisch. 

Das ist also das Geschenk der Gemeinde für die Firmlinge. Junge Leute, gerade mal vierzehn, fünfzehn, voller Lebensfreude und Tatendrang; Lust, Neues auszuprobieren, Grenzen auszutesten, den lebendigen Geist zu spüren. Und dann als Geschenk ein Lineal und ein Flachlocher. 

Der vermeintlich erhobene Zeigefinger an „die Jugend“ wurde aber immer kleiner, je länger ich darüber nachdachte. Da steckt vielleicht noch mehr Symbolik dahinter, als es zunächst scheint; vielleicht zuerst die Selbsterkenntnis: Ja, wir bohren manchmal mit hohem Aufwand ziemlich dünne Bretter. Da ist so ein „Flachlocher“ gerade richtig. Manches ist allzu flach und platt, auch wenn es noch so fromm daher kommt. Ganz zu schweigen von manchen Stammtisch-Plattitüden, die vermeintlich christlich-abendländische Ordnung dazu missbrauchen, um gegen Menschen anderer Religionen zu polemisieren. 

Und dann: Ein Locher locht. Und er hinterlässt Löcher. Da fehlt dann etwas – im Papier, auch wenn es noch so ordentlich aussieht. Und übertragen: Es fehlt etwas in der Gemeinde, in der Gemeinschaft, am Arbeitsplatz, wenn wir mit unseren engen Vorstellungen – von Ordnung, Regel und Verhalten – andere ausschließen. Ich denken etwa an die wiederverheiratet Geschiedenen, an die Homosexuellen und an Menschen, die bei uns Asyl suchen, um nur drei Beispiele zu nennen. Mit Bürokratie, Verordnungen und Dogmatik begegnen wir denen, die unsere Solidarität suchen, nicht unsere Besserwisserei. Und dann fehlen welche in der Gemeinschaft und in der Kirche. Was manche vielleicht als Ordnung und geregelte Abläufe sehen, als ordentliche Lebensläufe ohne Brüche, das hinterlässt doch Löcher. Da fehlt jemand, der eigentlich dazugehört. 

Ja, es steckt auch eine tiefe Sehnsucht dahinter. Wer auf Ordnung pocht, der ist oft zutiefst verunsichert. Der braucht Orientierung, um besser klar zu kommen im Leben. Wer Ordnung sucht, der sucht auch Verlässlichkeit und ein Netz, das ihn auffängt. Doch wo kommt diese Ordnung her? Sind es selbst gemachte Gesetze, sind es DIN-Normen und geregelte Abläufe allein? Vielleicht bringt der „Flachlocher“ mit dem Aufdruck „Gott bringt Ordnung in dein Leben“ ja noch so manche überraschende Erkenntnis...

2. Teil: Die "andere Ordnung Gottes"

Denn vielleicht ist der Satz „Gott bringt Ordnung in dein Leben“ ja auch eine wohlmeinende Mahnung, dass „Gottes Ordnung“ so ganz anders ist als wir uns das vorstellen. Dass bei aller buchhalterischen Engstirnigkeit, die uns manchmal plagt – gerade auch in unserer Kirche – dass gerade da das eigentliche Maß nicht vergessen wird: Gott ist es, der wirklich Ordnung in unser Leben bringt. Gerade er. Weil seine Maßstäbe nicht unsere Maßstäbe sind. Das zeigt er uns nicht zuletzt an Weihnachten. 

In der katholischen Kirche endet heute offiziell der Weihnachtsfestkreis. Aber das, worum es an Weihnachten geht, das dauert an. Denn da wird ja nicht die süßliche Romantik mit Lametta und Lichterglanz gefeiert. Die endet spätestens, wenn der Baum abgeholt wird und in den Schredder kommt. 

Die Geburt Jesu, die wird an Weihnachten gefeiert. Und da ging es ziemlich ungemütlich zu: Das Himmelbett ist eine Krippe. Der „Wohlfühlbereich“ ist ein Viehstall, weil in der Herberge kein Platz für sie war. Die Familie mit ihren unehelich-„irregulären“ Verhältnissen ist schon bald auf der Flucht, weil es dem Kind an den Kragen gehen soll. Die ersten Gratulanten sind Hirten, die Tagelöhner für andere. Nicht unbedingt die beste Gesellschaft. Das sieht nicht nach wohlfeil-frommer Weihnachtsromantik aus. Damals wie heute. Wenn wir Weihnachten wirklich ernst nehmen, dann müssen wir auch die Not der Menschen heute ernst nehmen. Wenn wir das Kind in der Krippe in unser Haus lassen, müssen wir auch die Flüchtlinge heute bei uns willkommen heißen. Wenn wir die „Heilige Familie“ besingen, dürfen wir die Lebensrealität von Familien heute nicht vergessen. Wenn wir uns am Kulturgut der Sternsinger freuen, dann können wir nicht gegen die Menschen aus dem Morgenland sein. Wie absurd! 

Als Kind in der Krippe wird der Messias geboren. Gott wird Mensch, einer von uns. Der Höchste – ganz unten. Und doch und gerade deshalb ist er der Erlöser. Er sprengt nämlich alles Verstehen und alle Begrenztheit. Er ist ganz anders als wir uns das vorstellen. So erlöst er uns aus unserer ängstlichen Enge, damals wie heute. Gott ist es, der Ordnung bringt in unser Leben, seine andere Ordnung, in der es wirklich Weihnachten wird. 

Und auch wenn die Weihnachtszeit heute nach dem katholischen Kalender endet: Mit dieser Frohen Botschaft bleibt es das ganze Jahr weihnachtlich: Gott ist Mensch geworden, mit seiner anderen Ordnung erlöst er uns aus aller menschlichen Enge und Ängstlichkeit. Alle Jahre wieder. Gott sei Dank!

 

 

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