SWR2 Zum Feiertag

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Martin Wolf im Gespräch mit dem Speyerer Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann

Herr Bischof, Weihnachten, dieses Fest, was deutet das für sie ganz persönlich?

Für mich persönlich natürlich sind, wie bei vielen, denke ich, die Erinnerungen an das Weihnachten zuhause immer noch lebendig, weil Weihnachten wirklich ja doch ein Fest ist, das ganz intensiv mit der Familie verbunden wird. Aber auch mit der Christmette in der Nacht und mit Stunden, in denen man sich irgendwie inne darüber wurde, was das Leben doch für ein wunderbares Geheimnis ist.

Sie sprechen jetzt Emotionen an, die dieses Fest auslöst. Wahrscheinlich ist Weihnachten wie kein anderes christliches Fest mit Emotionen beladen. Woran liegt das?

Ja, genau daran, dass es um das Geheimnis des Lebens, um die Geburt, um das Rätsel auch unseres Lebens, woher wir kommen und welchen tiefen Sinn, welche Bestimmung wir in uns tragen. Wenn wir von dem Kind in der Krippe sprechen, das also ein besondere Bestimmung für uns Menschen hat, als Heiland geboren ist, als Sohn Gottes in die Welt kommt, Gottes Liebe in diese Welt hineinzutragen, offenbar werden zu lassen. Dann werden wir auch mit angerührt an den tieferen Sinn unseres Lebens, der uns auch mitgegeben ist und das berührt uns, glaube ich, im Innersten sehr, sehr tief.

Sie sprechen die Weihnachtsgeschichte an, die der Evangelist Lukas aufgeschrieben hat, wo vom Kind in der Krippe, von den Hirten auf dem Feld die Rede ist. Wir wissen aus der Wissenschaft, dass dieser Bericht stark legendarisch ist, dass dies keine historische Begebenheit ist, die dort erzählt wird. Was kann diese Geschichte trotzdem Menschen heute noch sagen?

Also erst mal ist festzuhalten, dass der Evangelist Lukas diese Geschichte ganz genau konzipiert. Die Aussage da drin kann man ziemlich schnell erfassen, man braucht nur gleich in den Anfang hineingehen, da wird gleich der Kaiser Augustus genannt. Und es ist sozusagen so eine Antigeschichte zur Weltgeschichte. Hier schreibt Gott Geschichte und die geht anders als die Weltgeschichte. Gott schreibt die Geschichte der Menschen neu. Das ist die Aussage mit diesem Jesus von Nazareth, der das geheime Zentrum der Weltgeschichte ist.

 In dieser Geschichte heißt es ja auch, dass die Familie unterwegs war und in der Herberge kein Platz für sie war. Wir erleben dieses Jahr Weihnachten die Bilder von hunderttausenden Flüchtlingen, die auch Zuflucht bei uns suchen. Hat nicht gerade diese Geschichte dann für uns als Kirchen eine ganz besondere Bedeutung?

 Ja natürlich. Die christliche Botschaft von der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und dann noch dazu eben im Stall von Bethlehem, das heißt also in dieser ausgesetzten Situation der Armut und des Ausgesetztseins mitten hinein in diese Welt, in den Unfrieden auch dieser Welt, diese Geschichte geht ja weiter. Sie wird deutlich im Evangelium, das Jesus selbst verkündigt hat und in dem er sich selbst mit denen identifiziert hat in seinem Leben. Bis dahin, dass er am Ende die ganze Weltgeschichte gerichtet sieht nach diesem Kriterium, ob man sich solidarisiert hat mit denen, die auf der Schattenseite des Lebens stehen und ich glaube, deswegen ist es der Kern christlicher Botschaft. Wir sind herausgefordert als Christen, jeder Christ. Es ist nicht nur eine Organisationsfrage für die Kirche, also, was wir tun können als große Institution in dieser Gesellschaft, es ist aber eine Frage an jeden Gläubigen, an uns, an jede Gemeinde, an uns alle vor Ort. Bin ich abweisend oder habe ich auch einen offenen Sinn, offenen Geist, offenes Herz für Menschen, die zu uns kommen.

Wenn man die Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Lukas etwas kritisch liest, dann können einem manche Sätze fast wie Hohn vorkommen. Da heißt es zum Beispiel „Verherrlicht ist Gott in der Höhe und auf Erde ist Frieden bei den Menschen seiner Gnade.“ Gilt das auch für die Menschen in Syrien im Irak, die im Moment unter Krieg und Not leiden?

 Ja, wohl gerade, wenn man das, was ich am Anfang gesagt hatte als eine Gegengeschichte liest, dann werden diese Sätze natürlich auch in ihrer provozierenden Pointe erst klar. Der Evangelist Lukas beschreibt hier keine Idylle mit der Krippe, sondern beschreibt halt eben darin wirklich, dass der Heiland, der Erlöser ausgestoßen wird von den Menschen. Er fand keinen Platz unter den Menschen. Das wird dann der Evangelist Johannes nochmal etwas anders ausdrücken: Er kam in sein Eigentum, aber die seinen nahmen ihn nicht auf. Er fand keine Aufnahme. Hier soll gesagt werden, es gibt noch einen anderen Frieden als der, der in der Welt ist und dort, wo wir anfangen, wirklich auf Gott zu hören, Gottes Reich lebendig wird. Wo Gott Mensch wird, wo er sich mitten in unsere Welt hinein begibt und wo wir ihm Raum geben dafür, dort wird Friede. Mitten im Unfrieden dieser Welt. Im Grunde ist der Satz eher gerade auf die gemünzt, die manchmal unter der bittersten Ungerechtigkeit dieser Welt leiden und im Unfrieden leben. Ihnen wird diese Verheißung mitgegeben: Gott ist bei euch und er wird Frieden schaffen und seine Gegenwart ist das letzte Wort der ganzen Weltgeschichte.

 Nun hören die katholischen Christinnen und Christen ja heute Morgen in den Gottesdiensten eine ganz andere Weihnachtsgeschichte aus dem Johannes-Evangelium. Dort heißt es: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Dieser sogenannte Prolog des Johannes-Evangeliums ist schon eine tiefere Ausdeutung des Weihnachtsgeschehens. Hier geht es darum, dass in diesem Kind von Bethlehem die Verheißung Gottes erfüllt wird, das Wort Gottes an uns. Wenn wir sagen „du hast mein Wort“, dann meinen wir damit viel, viel mehr als nur ein Wort, was wir sprechen. Sondern dann meinen wir: Ich verspreche dir etwas und dafür stehe ich vollständig ein. Du hast mein Wort!

Heißt das also, wir feiern an Weihnachten gar nicht so sehr die Geburt eines Kindes, sondern vielmehr die Präsenz Gottes in dieser Welt?

Beides! Genau beides zusammen. Es ist die Geburt des Kindes mit all dem, was das bedeutet. Jesus hat immer wieder davon ja auch gesprochen, wir müssen wie die Kinder werden in dem Sinne von: diese Fähigkeit, diese Offenheit mitzubringen, die ein Kind hat und auch gleichzeitig dieses Angewiesensein auf die Zuneigung der Anderen, denn kein Mensch kann ohne Liebe ins Leben hinein starten. Ohne die Erfahrung letztlich von einer Zuneigung, dass es gut ist, das er da ist. Also, beides gehört zusammen: Präsenz Gottes, Gegenwart Gottes in dieser Welt, aber im Zeichen des Kindes. In einer Ohnmacht, die uns verweist auf das tiefe Geheimnis des Lebens. Dass es ein Geschenk ist und das es aus der Liebe lebt.

 Das Stichwort Liebe haben sie gerade gebracht. Weihnachten wird ja oft so auch als das Fest der Liebe bezeichnet. Ist es genau diese theologische Aussage, die sich damit verbindet?

 Ja, denn ich meine, es ist ja sehr wichtig, dass wir schauen: was ist denn Liebe? Liebe ist ein Allerweltswort in unserer Welt geworden für alles Mögliche, aber hier werden wir wirklich auf den innersten Kern unseres Daseins, unseres Menschseins zurückgeworfen, also auf das, was es heißt, dass ich bedingungslos geliebt bin, dass ich da bin: Kind. Ich hab noch nichts geleistet, ich bin da und es ist wunderbar, dass ich da bin. Und wie wunderbare wäre es, wenn Menschen das ein Leben lang in ihrem Innersten behalten könnten, bei allen Verwundungen und Verletzungen ihres Lebens, dass sie das immer wieder wüssten: Es ist wunderbar, dass ich da bin, weil ich geliebt bin. Also das ist das Geheimnis, dass uns mitgegeben wird und ich glaube, das ist auch das, was uns so tiefst emotional anrührt, was uns so tief an Weihnachten bewegt. Vielleicht noch das zweite dazu, dass diese Liebe immer Gemeinschaft bedeutet, nie einfach nur rein individuell ist, nicht nur mir gilt als Einzelnem, sondern immer auch in einer Gemeinschaft gelebt wird. Gott sagt Ja zu dieser Welt und wir sollen Ja sagen zu einander, zur Würde des Menschen, und das bedeutet auch diese bedingungslose Liebe: Den Menschen erst mal so annehmen, wie er ist.

Und dann kommt man von dort also eben auf dieses größere Geheimnis, dass darin der tiefere Sinn dieser Welt ist, dass die Liebe am Ende doch die einzige Kraft ist, die diese Welt von innen her positiv verändern kann und den Kreislauf des Bösen am Ende sprengen kann. Würden wir nicht mehr an die Liebe glauben, dann hätten wir unser Menschsein verloren, und das wäre schlimm.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18956
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