SWR4 Sonntagsgedanken

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Ein gutes Vorbild taugt mehr als zig gute Vorsätze. Die guten Vorsätze, die haben sich bei mir nämlich nicht so wirklich bewährt. Meistens haben sie nicht lange gehalten.
Darum will ich das neue Jahr lieber mit guten Vorbildern beginnen. Ein Vorbild, an das ich seit vielen Jahren an jedem 4. Januar denke, ist der dänische Pfarrer Kaj Munk. Am 4. Januar 1944 wurde er von einem deutschen Kommando ermordet. Damals hatten die Deutschen Dänemark besetzt. Es war Krieg. Und Kaj Munk rief seine Landsleute zum Widerstand gegen die Besatzer auf. Auch mit Gewalt, wenn es sein musste. Wenn es anders nicht möglich war, Unschuldige zu schützen.
In Kopenhagen hatten Studenten einer Widerstandsgruppe darüber diskutiert, ob man in Kauf nehmen darf, dass andere sterben. Oder ob man sogar selber töten darf. Eine Studentin aus der Gruppe wollte wissen, was Kaj Munk dazu sagt. Die Stimme des dänischen Widerstands. Seine Predigten, Artikel und Theaterstücke wurden inzwischen illegal gedruckt und im Untergrund verbreitet.
Kaj Munk hat der Studentin nur eine kurze Antwort geschrieben. Christus hat befohlen, Witwen und Waisen zu helfen, schreibt er. Da muss man manchmal auch die Räuber erschießen, die sie überfallen wollen. Es ist kein Christentum, anderen den Kampf und die Qual zu überlassen und selber sitzen zu bleiben, hat er geschrieben. Er konnte sich sogar vorstellen, in Jesu Namen zu töten.
Starke Worte für einen Pfarrer, finde ich! Die Studentin hat sich dann auch bewusst anders entschieden. Für sie hat das Gebot „Du sollst nicht töten“ keinen Kompromiss erlaubt. Ihr Bruder dagegen hat Attentate auf Züge und Fabriken ausgeübt. Er hat gehofft, dass der Krieg dadurch früher zu Ende geht. Dafür kam er in ein Konzentrationslager und hat nur knapp überlebt. Nach dem Krieg hat er sein Medizinstudium beendet und ist in Dänemark ein bedeutender Arzt geworden. Er hat weitergekämpft – diesmal gegen den Krebs.
Ich bin froh, dass ich nicht in derselben Situation lebe wie damals in Dänemark Pfarrer Munk und die beiden Studentengeschwister. Ich weiß nicht, wie ich mich entschieden hätte. Hätte ich wie die Studentin gesagt: Das Gebot „Du sollst nicht töten“ kennt keinen Kompromiss?
Aber kein Kompromiss: Das war auch die Leitlinie für Kaj Munk. Er hat keinen Kompromiss mit dem Unrecht und dem Unheil schließen wollen. Er wollte Jesus folgen, ohne Kompromiss – und wenn es bis zum Tod am Kreuz ist. Seine Freunde haben ihn immer wieder gewarnt. Sie haben immer wieder gesagt: Flieh! Rette dich! Wir brauchen dich noch!
Doch er hat geantwortet: Ich werde hier gebraucht. Ich will leben. Aber wenn sie mich töten, dann kann ich es nicht ändern. Darin ist Jesus sein großes Vorbild gewesen.

Ist Kaj Munk ein gutes Vorbild?
Wenn man ihn das selber gefragt hätte, dann hätte er sich wahrscheinlich den Kopf geschüttelt. Trotzdem ist er für viele ein Vorbild geworden. Weil er so konsequent und kompromisslos für das eingestanden ist, was ihm wichtig und heilig war.
Aber auch ein Vorbild macht Fehler. Und vielleicht kann man daraus sogar noch mehr lernen! Denn weil Kaj Munk so kompromisslos war, hat er Leute bewundert, die stark und kompromisslos auftreten. Erst Mussolini. Und dann sogar Hitler. Bis er gemerkt hat, wie Hitler gegen die Juden vorging. Da kannte Kaj Munk nämlich auch keinen Kompromiss: Jesus selbst war doch ein Jude! Das hat Kaj Munk immer wieder gesagt. Und seine Landsleute darauf eingeschworen, sich nicht zum Komplizen der deutschen Judenpolitik zu machen.
Fast alle dänischen Juden wurden von ihren eigenen Landsleuten vor der Ermordung gerettet. Das lag auch an der Wirkung von Munks Worten.
Für Kaj Munk selbst war Jesus das große Vorbild. Wie Jesus wollte er nicht zurückweichen, auch wenn der Weg zum Kreuz führt. Jesus war für ihn nicht bloß ein harmloser, netter Mensch, der keinem weh tut. Jemand, der uns in unserem Alltag nicht stört.
Munk hat sogar gefragt: Was erwartet Jesus jetzt von Dänemark?
Das wäre nicht meine Frage. Aber gut: Was könnte Jesus von uns Menschen in Deutschland erwarten? Das sind immerhin sehr viele verschiedene Menschen. Darunter auch viele, die selber gar nicht in Deutschland geboren sind. Oder deren Eltern oder Großeltern aus einem anderen Land stammen. Für viele ist wahrscheinlich nicht Jesus das Vorbild, sondern eher der Prophet Mohammed oder ein großer Fußballspieler oder eine berühmte Sängerin – oder die eigenen Eltern.
Aber in einem kann Jesus vielleicht doch für uns alle ein Vorbild sein – im Versuch, die Wahrheit zu leben. Mich jedenfalls erinnert Kaj Munk immer wieder daran. Danach zu suchen, was mein Auftrag hier in dieser Welt sein könnte. Und diesem Auftrag nachzugehen. Ruhig, gefasst, voller Zuversicht und voller Freude am Leben. Voller Dankbarkeit gegenüber diesem Geschenk Leben! Das ist ein Geschenk, das ich teilen kann und nicht für mich allein behalten will. Ich glaube, das darf Jesus von mir erwarten!
Ich denke, so könnte es ein gutes neues Jahr werden. Ich wünsche Ihnen und mir Segen dazu.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18837
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