SWR2 Lied zum Sonntag

SWR2 Lied zum Sonntag

Was ist die Zeit? Ein Fluss? Die ewige Wiederkehr des Gleichen? Ein kostbarer Augenblick?
Schon früh unterschied man in der Antike zwei Zeitformen: den Chronos und den Kairos. Chronos - das war die messbare, sich in die Länge ziehende Zeit von Tagen, Monaten und Jahren. Kairos dagegen war der besondere Augenblick. Der beglückende Moment. Die rechte Zeit.
Von der rechten Zeit ist in dem Adventslied, das ich Ihnen heute mitgebracht habe, die Rede. Johann Sebastian Bach hat die Musik komponiert. Den Text schrieb der aus Bunzlau in Schlesien stammende Martin Opitz, ein namhafter deutscher Dichter des Barock. Auf, auf die rechte Zeit ist hier!

Auf, auf! Die rechte Zeit ist hier,
die Stunde wartet vor der Tür,
ihr Brüder, lasset uns erwachen,
vergesst die Welt und ihre Sachen.

Das Lied beginnt mit einem Weckruf! Die Stunde ist da! Wacht auf, damit ihr sie nicht verschlaft!
Ich denke dabei an die Geschichte einer orientalischen Hochzeit, die Jesus einmal erzählt. Da warten die Brautjungfern am Vorabend der Hochzeit auf den Bräutigam. Die Nacht ist lang und zieht sich dahin. Manchen von ihnen geht der Vorrat an Öl für ihre Lampen aus. Sie stehen buchstäblich im Dunkeln.
Die Klugen unter ihnen aber haben vorgesorgt. Und genug Öl in der Kanne. So sollt ihr warten!, sagt Jesus. So, als ob ich jeden Augenblick zu euch kommen könnte. Bezwingt den Schlaf! Und lasst euer Licht in der Nacht leuchten!

Bezwingt den Schlaf und kommt in Eil,
denn unser Licht und Gnadenheil,
der rechter Trost und Schutz der Seinen,
ist näher als wir selber meinen.

Adventszeit ist Wartezeit. Und nichts ist schlimmer, als wenn diese Zeit des Wartens einfach übersprungen wird. Wenn beispielsweise, wie ich es kürzlich in einem Karlsruher Kaufhaus erlebt habe, im November schon „Stille Nacht, heilige Nacht“ gespielt wird.
Der Sinn für die „rechte Zeit“ zeichnet Menschen mit Taktgefühl aus. Taktgefühl ist immer auch Zeitgefühl. Wer es hat, weiß, wann etwas zu sagen oder zu tun ist, und wann besser nicht. Wann es Zeit ist zu warten, und wann zu handeln.
Wir kennen das ja aus Alltagssituationen. Wer nicht kommt zur rechten Zeit, sagen wir, der hat etwas Schönes und Gutes verpasst. Und muss dann eben essen, was übrig bleibt. Eine harmlose Variante im Vergleich zu der erwarteten Ankunft, um die es im Advent geht!
„Die ungestirnte schwarze Nacht/hat ihren schnellen Lauf vollbracht,/der sehr gewünschte Tag ist kommen/und hat die Nacht hinweggenommen“, dichtet Martin Opitz.
Es geht ihm um das, was die Nacht hell macht. Es geht um das Geheimnis der Weihnacht, auf das ich mich nicht früh genug vorbereiten kann. Mit einem Licht, das ich anzünde. Einem Lied, das ich anstimme. Einem Besuch, den ich mache. Dazu bietet die Adventszeit reichlich Gelegenheit.
Aufgeweckt, ausgeschlafen und ausgestattet mit wachen Sinnen will ich also sein - im Advent . Und mich mit Licht und Freundlichkeit wappnen, wie es in der letzten Strophe heißt. Die Trägheit des Herzens aber, die Sünde, darf ruhig schlafen.

Legt ihr auch ab den dunkeln Schein,
die Werke, die vergänglich sein,
zieht an des Lichtes helle Waffen,
lasst nichts als nur die Sünde schlafen.

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Musik: Auf auf, die rechte Zeit ist hier  track 9 aus CD 1
Bach; Ein Choralbuch für JS Bach. 4 CD Set.  BMS (Bohemians Music Service)
MM4195-2        EAN  590646 419523

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18823
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