SWR3 Gedanken

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„Gier frisst: Vertrauen.“ So lautete das Motto einer Kunstaktion des hessischen Künstlers Ralf Kopp vor der Katharinenkirche in Frankfurt am Main. Auf dem Boden vor der Kirche konnten Passanten den Schriftzug „Vertrauen“ bewundern, gestaltet aus vierundfünfzigtausend Ein-Cent-Stücken. In der Finanzmetropole unserer Republik lag das Geld im wahrsten Sinne des Wortes auf der Straße. Allerdings nur für vierzehn Stunden.
Schon nach der ersten Nacht war das Geld komplett weg. Gier frisst Vertrauen, könnte man meinen. Die Menschen können einfach nicht widerstehen. Wenn sie Geld sehen, müssen sie es nehmen. Für viele der Münzen stimmte das auch. Aber nicht für den Löwenanteil der 540 Euro. Den räumten vier Jugendliche ab. Und das aus gutem Grund.
Auf ihrem Weg durch die Innenstadt hatte sie ein Obdachloser angesprochen und um Geld gebeten. Wenig später stießen sie auf das Kunstwerk an der Katharinenkirche. Gemeinsam mit dem Obdachlosen schaufelten sie die Münzen in Plastiktüten. „Er hat es nötiger gebraucht als wir“, fanden die vier jungen Menschen.
So gesehen hat die Gier also das Vertrauen nicht gefressen. Für die vier Jugendlichen hat Gier überhaupt keine Rolle gespielt. Vierundfünfzigtausend Cent-Stücke wurden nicht zum Symbol einer verkommenen Gesellschaft, in der sich alles nur ums Geld dreht, sondern zum Zeichen für Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe und Hoffnung.
So jedenfalls sieht es auch der Künstler, der vom Verlauf des Projektes am meisten überrascht war. Das Geld war weg. Aber das Vertrauen nicht. Das Vertrauen, dass es neben Gier, Gleichgültigkeit und Eigennutz noch immer das Gute im Menschen gibt. Und diese Erkenntnis ist mehr wert als 540 Euro.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=18645
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