SWR2 Zum Feiertag

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Ein Gespräch mit Landesbischof in Ruhe Dr. Ulrich Fischer

Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen… und werdet meine Zeugen sein“, sagt Jesus in der Apostelgeschichte zu seinen Jüngern. Darum geht es heute, an Pfingsten: Begeisterte Zeugen der Botschaft Jesu.

Herr Dr. Fischer, Sie waren 16 Jahre Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Baden. Vor einer Woche sind Sie in den Ruhestand verabschiedet worden. Wenn Sie mit dieser langen Leitungserfahrung auf Ihre Kirche schauen – sehen Sie das: Begeisterte Zeugen der Botschaft Jesu?

Ich sehe sehr wohl viele. Auf die ganze Weite der Landeskirche mögen das zu wenige sein, aber gerade bei den jungen Kollegen sehe ich sehr viele, die mit großer Begeisterung in diesen Beruf hineingehen und auch andere zu begeistern vermögen.

Gibt es Bereiche in der Landeskirche, wo Sie diese Begeisterung besonders spüren können, Arbeitsfelder, wo Sie sagen: Da ist die Begeisterung greifbar?

Es gibt sehr viele Gospelchöre, wir haben den Gospelkirchentag hier in Karlsruhe gehabt, und wer mal Gospel in einem Gottesdienst erlebt hat, der merkt, wie richtig die Begeisterung überspringt, auch in der Posaunenarbeit, in der Bläserarbeit, überhaupt in der kirchenmusikalischen Arbeit. Ich glaube, durch Musik kann man besser noch Begeisterung rüberbringen als durch das gesprochene Wort. Dann würde ich aber auch noch nennen wollen: Vesperkirchen. In Württemberg gibt es einige, aber auch in Mannheim, in Pforzheim – wenn man sieht , mit welcher Begeisterung Menschen dort ehrenamtlich Dienst tun, auch das ist Begeisterung, die von Pfingsten herkommt.

Trotzdem sind nicht wenige Menschen enttäuscht von der Kirche. Sie suchen einen inspirierten und inspirierenden Ort. Was sie finden, ist aber oft ein bürokratischer Apparat oder – in den Gemeinden vor Ort – eine Art Verein, wo es viel um Renovierungsarbeiten oder ums Gemeindefest kümmert, aber um Spirituelles geht es da manchmal weniger. Muss das so sein?

Das letztere sehe ich nicht so. Dass ein Ältestenkreis sich um solche Dinge kümmern muss, ist selbstverständlich, aber dass die im Mittelpunkt von Gemeindeleben stehen, das würde ich für die Gemeinden nicht sehen. Dass die Kirche oft als ein Apparat verstanden wird, gilt sicherlich, wenn man auf Synoden zusammen ist, da kann ich mir vorstellen, dass dieser Eindruck entsteht.
Aber ich finde, unsere Kirchengebäude sind größtenteils inspirierende Orte, tatsächlich. Wir haben verlässlich geöffnete Kirchen in einer immer größeren Zahl. Wir haben sehr viel dafür getan in den letzten Jahren, dass die Kirchenräume auch in einer würdigen Weise gepflegt – auch ästhetisch so gepflegt werden, dass die Menschen, wenn sie sie betreten, sie auch als einen würdigen Raum, einen inspirierenden Raum erkennen. Und wir haben doch auch einiges getan im Sinne der Pflege einer gottesdienstlichen Kultur, ja ich sage ruhig: einer Qualitätsverbesserung im Gottesdienst. Und ich glaube, da ist einiges Gute geschehen. Jedes einzelne schlechte Beispiel, das weiß ich, wirkt viel länger als zehn gute Beispiele. Darum ist es so enttäuschend, wenn einer dann mal in die Kirche geht und dann einen misslungenen oder eine nicht inspirierenden Gottesdienst erlebt. Aber ich finde: Gottesdienste und Gottesdiensträume sind die Hauptorte, wo Inspiration erfahren werden kann.

Es ist vielleicht für den einen oder anderen befremdlich, im Zusammenhang mit Gottesdienst von Qualität zu sprechen. Das ist ja eher ein Begriff der aus einem anderen Bereich stammt, „Qualitätskontrolle“ – woran macht sich denn für Sie die Qualität eines Gottesdienstes fest.

Sie haben vollkommen recht, als der Begriff 2006 zum ersten Mal kam, hat er eine heftige Diskussion – auch in der Pfarrerschaft – ausgelöst: Sind wir nicht gut genug? Und: Darf man das überhaupt, so von Gottesdienst reden? Aber man kann in der Tat die Qualität eines Gottesdienstes messen. Das fängt damit an: Ist der Ablauf eines Gottesdienstes stimmig? Stimmen Lieder, Gebete, Predigt – sind die aufeinander so abgestimmt, dass man am Ende das Gefühl hat, hier ist eine – ich sage ruhig – Inszenierung geschehen, in die ich mich hineingenommen fühle. Dann: Ist eine Predigt so gestaltet, dass sie gut mitverfolgt werden kann, dass sie einen guten Anfang, einen guten Schluss hat, dass sie Höhepunkte hat, dass sie Merksätze hat, dass erkennbar wird: da redet die Predigerin oder der Prediger auch mit einem eigenen Ich. Also es gibt schon Punkte, an denen man Qualität festmachen kann.

Gottesdienst als inspirierender Ort – nach außen wird die Kirche ja oft auch durch andere Dinge wahrgenommen, danach, wie sie sich nach außen äußert. Die Journalistin Friederike Gräff hat kürzlich in einem Artikel der evangelischen Kirche „Leisetreterei“ vorgeworfen. Sie schreibt: „Hauptanliegen der Kirche scheint es zu sein, niemanden vor den Kopf zu stoßen, sei es mit den unerfreulichen Geschichten des Alten Testaments, mit Ideen, was ein gläubiger Christ nicht tun sollte, oder laut gesprochenen Gebeten in christlichen Einrichtungen“ (Friederike Gräff, Ist Gott noch Mitglied der evangelischen Kirche, in: Christ und Welt 9/2014) . Das Hauptanliegen der Kirche – niemanden vor den Kopf stoßen: Stimmen Sie ihr zu?

Nur zu einem Teil. Was sie über das Verheimlichen sperriger Texte sagt, dem würde ich zustimmen. Wir trauen uns manchmal nicht mehr zu sagen, dass in der Bibel auch Dinge drinstehen, die befremdlich sind und die auch der Kritik würdig sind. Also: so wie das Alte Testament über Krieg redet – Jahwe führt den Krieg mit dem Volk Israel – so können wir heute nicht über Krieg sprechen. Das einfach auszusparen oder in einem Psalm die Rachegedanken auszusparen ist falsch meiner Meinung nach. Sondern man muss einfach verstehen: Warum äußert sich ein Beter so, dass er solche Rachegefühle ausspricht – übrigens: sehr menschlich!
Da teile ich die Kritik. Ich teile sie nicht in diesen gesellschaftspolitischen Fragen, die sie damit wohl auch meint. Es ist heute sehr viel schwieriger, in einer globalisierten, sehr pluralisierten Welt eine eindeutige Position zu haben. Damit kann man wunderbar in die Schlagzeilen kommen, aber ob man damit das Richtige sagt, ist noch einmal etwas ganz anderes. Das war in Zeiten der Blockbildung, als wir noch die atomare Bedrohung aus dem Osten hatten, viel einfacher. Wenn man sich da in der Friedensbewegung engagiert hat, wie ich es getan habe, wusste man irgendwann, wo der feste Standpunkt ist, den man beziehen muss. Ich sage: Ausstieg aus der Atomenergie – ein gleicher Punkt. Das haben wir in den siebziger Jahren schon in Baden durchexerziert mit dem Widerstand gegen das Kernkraftwerk Wyhl. Da war da noch überhaupt kein Common Sense. Wenn wir es heute sagen, ist es die Mehrheitsmeinung, und dann heißt es gleich: Ihr schwimmt mit der Mehrheit. Ich finde die Kritik an dieser Stelle nicht ganz berechtigt.

Meiner Wahrnehmung nach sind viele Haupt- und Ehrenamtliche in der Kirche ziemlich erschöpft. Sie sind aktiv sich im sozialen Bereich, suchen neue Konzepte für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, was ja derzeit nicht einfach ist, durch die schulischen Anforderungen, die auf die Kinder und Jugendlichen zukommen, sie probieren neue Gottesdienstformen, um mehr Leute anzusprechen – aber die Wirkung ist oft bescheiden. Was wünschen Sie – als Mitchrist, Pfarrer, ehemaliger Landesbischof – diesen engagierten Christen?

Ich wünsche ihnen zunächst mal, dass sie sich von der Gewissheit tragen lassen, dass der Heilige Geist auch ihr Wirken in dieser mühsamen Weise mitträgt und beleben kann. Sie haben in der Analyse vollkommen recht: Müdigkeit ist das große Gegengift, das im Engagement steckt und das auch geistlos ist. Und ich verstehe auch diese Müdigkeit, ich habe sie selber als Gemeindepfarrer ja auch erlebt. Aber es wird immer dann aus dieser Müdigkeit ein neues Engagement, wenn es gelingt, Menschen mit einzubeziehen, sie zu beteiligen… Also denen würde ich wünschen: Guckt euch nach Menschen um, mit denen zusammen ihr Freude habt, ich würde sogar sagen, Lust habt, in der Kirche zu arbeiten. Und lasst euch immer wieder auch inspirieren von großartigen in der Bibel, die etwas gegen Müdigkeit sagen, was Paulus im 2. Korintherbrief schreibt, wo er beschreibt, wie elend es ihm geht, und dann sagt er immer als Dennoch: Gefangen und dennoch frei, fast tot aber dennoch lebendig (2. Korinther 6,9ff). Solche Texte muss man sich auch mal anschauen und von sich von ihnen inspirieren lassen.

Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen“, heißt die Zusage Jesu zu Pfingsten. Was waren und sind Ihre Kraftquellen, wo werden sie begeistert und inspiriert?

Wenn ich zurückdenke an die 16 Jahre: Es gibt eine Kraftquelle, die war in Karlsruhe, der Gospelkirchentag, das war einfach großartig, singende Menschen über mehrere Tage so begeistert zu erleben. Und es war ein Kraftort, das war die Einweihung der Frauenkirche in Dresden, das war einfach ein Wunder vor unseren Augen. Und dann waren das die ganz vielen Gottesdienste, die ich gefeiert habe, ich habe mal zusammengezählt, ich habe etwa 800 Gottesdienste in dieser Zeit in den Gemeinden gefeiert und ebenso viele Andachten im Oberkirchenrat. Für mich sind auch die kleinen Formen Kraftquellen. Für mich ist etwas ganz wichtig: Es muss in diesen Andachten auch miteinander gesungen werden.

Musik also als Ort der Begeisterung und auch als Kraftquelle…

Ja, so ist es. Ja, und es ist etwas Wunderschönes, dass sich das durchzieht im alten wie auch im neuen Testament: Singt dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder! Und die Jünger haben an Pfingsten, als sie da beieinander waren und vom Heiligen Geist erfüllt waren, nicht nur in Zungen geredet, sondern die haben sicher auch gesungen. Also: Das Singen gehört zum Ansteckendsten in der Religion überhaupt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17685
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