SWR2 Zum Feiertag

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Wolf-Dieter Steinmann, evangelische Kirche trifft Pfarrerin Elisabeth Kunze Wünsch, Leiterin des „Hospizes Stuttgart“

Frau Kunze-Wünsch, Sie sind seit 1 ½ Jahren Leiterin des Hospizes Stuttgart. Sie erleben da, wie Menschen heute Sterben und Tod heute erfahren. Gibt es etwas, was Sie in diesen 1 ½ Jahren ganz besonders deutlich erlebt und gespürt haben.

Ja, das gibt es. Weil ich glaube, dass jeder Mensch seinen oder ihren Tod stirbt und der Sterbeprozess sehr individuell ist. Und von den persönlichen Lebensumstünden, Familie, Freundeskreis, soziales Umfeld und natürlich auch von der Grunderkrankung des Menschen sehr abhängig ist. Jeder Weg vom Leben in den Tod, also über diese letzte Grenze – wie ich es gerne nenne, weil das nicht so hart klingt. Jeder Weg ist sehr persönlich und muss auch so in dieser persönlichen Individualität geachtet werden.

Vermuten Sie dass das heute anders ist als früher? Gab es früher gewissermaßen so „typischere“ Tode?

Das glaube ich nicht. Ich glaube bloß, dass wir modernen Menschen in den westlichen Ländern den Tod mehr als Skandal erleben, dass er überhaupt eintritt. Weil Menschen früher waren einfach durch die geringere Lebenserwartung und die viel größeren Familien viel öfter mit dem Tod konfrontiert. In unserer Gesellschaft gibt es ja durchaus Menschen, die Anfang 40 sind und noch nicht auf einer Beerdigung waren. Das ist ja auch jetzt mal schön, es ist ja nicht zu wünschen, dass wir uns permanent verabschieden müssen von lieben Menschen. Aber ich glaube, dass auch durch die Verdrängung des Todes aus dem öffentlichen Raum wir insgesamt weniger Erfahrung mit dem Sterben haben.

Das bedeutet: Für den Einzelnen ist die Überraschung möglicherweise größer und die Erschütterung, dass er auf einmal nah kommt.

Ja, weil sich sehr wenige von uns – und da kann ich mich auch gut einbeziehen, also vor meiner intensiven Arbeit im Hospiz und Palliativbereich – mit dem eigenen Sterben und dem Sterben der Angehörigen auch beschäftigen.

Wie versucht dann das Hospiz Menschen zu helfen und sie zu begleiten in diesem Schrecken und dann auf diesem Weg?

Wir können ausgesprochen viel tun, wenn sozusagen objektiv medizinisch „nichts mehr zu machen ist“. Und das Wichtigste ist für Sterbende und ihre Angehörigen, was wir diesen Menschen geben können, ist Geborgenheit. Ein Raum, sei es im ambulanten Bereich, zu Hause, in Pflegeeinrichtungen, im Krankenhaus, oder eben im stationären Hospiz. Wo sie eben mit ihren Beschwerden, mit ihrer inneren Verarbeitung, mit ihrem Schmerz, aber vielleicht auch mit ihrer Dankbarkeit und mit ihrem Rückblick auf ihr Leben aufgehoben sind.

Heißt; Hospiz bedeutet nicht mehr nur ein Haus, in dem man stationär sein kann, sondern Hospiz hat mehrere Möglichkeiten wie es Sterben begleiten kann.

Absolut. Das Hospiz Stuttgart hat 6 verschiedene Bereiche. Den stationären Bereich für Erwachsene, den ambulanten Bereich für Erwachsene, die Sitzwache in Pflegeheimen und Krankenhäusern, den ambulanten Bereich für Kinder, die Bildungsarbeit, sehr wichtig zur Qualifizierung von Ehrenamtlichen und Pflegenden und Ärzten und wir planen eben ein stationäres Kinderhospiz.
Die Trauerarbeit ist jeweils integriert. Das ist für uns etwas sehr Wichtiges, die Menschen nach dem Tod ihres geliebten Menschen nicht allein zu lassen.

In allen 6 Bereichen wird eben Hospizarbeit gelebt. Deswegen spreche ich auch gern von der Hospizbewegung: Sterbende und Trauernde so zu begleiten, dass sie diesen vielleicht auch schwierigsten Weg des Lebens nicht einsam und in Schmerzen gehen müssen. Seelische Schmerzen gibt es sowieso.

Karfreitag: Erinnerung an den Tod Jesu
Heute ist Karfreitag. Da, Frau Kunze-Wünsch, erinnern Christen sich selbst, aber auch die Gesellschaft, an den Tod, in Gestalt vor allem der Person Jesu. Gibt es in den Erzählungen, die von der Passion Jesu berichten in der Bibel eine Passage, Gedanken, Erfahrungen, die Ihnen besonders wichtig sind?

Ja, der Garten Gethsemane. Auch wegen dieser Diskrepanz: Einerseits Garten, das ist etwas Schönes, Blühendes, Duftendes; andererseits dann eben der leidende Jesus, der diesen Weg des Leidens, den er vor sich sieht, eben nicht gehen will, eigentlich. Und auch in dieser Situation, obwohl er ja Freunde - oder Jünger wie die Bibel sagt - mitgenommen hat, auch allein gelassen wird.
Ich glaube, dass diese Erfahrung vielleicht für ihn als Mensch noch schwerer war als der Verrat durch Judas. Weil er auch immer bittet: ‚Bleibt hier und wacht mit mir.‘ Und die Jünger, seine Freunde können es nicht, nicht weil sie es nicht wollten, sondern einfach, weil sie nicht die innere Kraft haben. Vielleicht haben sie auch gespürt, was für ein Unheil da auf sie zukommt. Auf alle Fälle waren sie erschöpft und sind immer wieder eingeschlafen. Und er ringt dann auch mit Gott und versucht auch, Gott davon zu überzeugen, dass vielleicht ein anderer Weg eingeschlagen werden sollte. Aber dann willigt er ja ein und sagt ‚nicht mein, sondern Dein Wille geschehe.‘ Und diesen Weg Jesu, den finde ich sehr anrührend.

Ich habe so bei Erfahrungen mit Sterben und Tod von Angehörigen und Bekannten, ich habe mich da sehr unterschiedlich erlebt. Mal ganz versöhnt mit dem Tod, zB bei meinem Vater, schwer krank, jenseits der 80, dann aber auch, habe ich mich wütend oder verzweifelt und stumm angesichts des Todes erlebt. Wie haben Sie das erlebt?

Das kenne ich genauso wie Sie. Ich denke jetzt an den Tod eines jahrzehntelangen Freundes, letzten Hochsommer, der plötzlich, zu Hause am Herzinfarkt gestorben ist, mit 57. Damit bin auch jetzt in keinster Weise versöhnt. Weil ich eigentlich finde - ich sag das mal ganz frei raus – dass es Jürgen verdient hätte noch ein paar Jahre länger auf dieser Erde zu sein. Weil das Leben ist ja sehr schön und ich es auch ungerecht finde, dass so ein liebenswerter, engagierter Mensch, schon so früh gehen muss.
Das ist jetzt emotional gesagt: Auf der anderen Seite weiß ich natürlich, dass 57 für andere Menschen wieder alt ist, weil es gibt viele Menschen, die viel früher gehen müssen. Und sein Tod kam natürlich auch deshalb sehr nah, weil ich selber 59 bin, dh. er hat mich auch näher an mein eigenes Sterben herangeführt. Also es hat ja immer den Aspekt, dass jemand sehr nahes fehlt und auch, dass ich selber erinnert werde, dass ich selber gehen muss.

Mit dem Tod umzugehen bedeutet für mich als Christenmensch auch immer, eine Gotteserfahrung zu machen. Und genauso wie ich mit dem Tod nicht versöhnt sein kann bin ich in so einer Situation dann auch mit Gott nicht versöhnt, möglicherweise im Streit, oder versöhnt, wenn ich sagen kann: ‚Ja, es ist gut so.‘ Was lehrt uns angesichts dieser spannungsreichen Erfahrung der Karfreitag, auch für das Erfahren Gottes?
Also mich, lehrt er eine tiefe Solidarität - menschlich und spirituell - Gottes mit den Leidenden. Und diese tiefe Solidarität, die gibt leidenden Menschen, auch Sterbenden, wenn sie einen Zugang haben zum Glauben, auch Kraft.
Und deswegen ist für mich das Kreuz nicht nur ein Symbol des Leidens, sondern auch der Kraft Gottes, weil es diese Entwicklung zum neuen Leben, also hin zur Auferstehung auch nur – das ist menschliches Schicksal – nur durch diese Leiderfahrung hindurch gibt. Von daher hat der Weg Jesu für mich auch etwas Exemplarisches.
Und an den Weg Jesu können sich leidende, kranke, mit dem nahen Tod ringende Menschen auch gewissermaßen andocken und daraus Kraft und Stärkung sich holen.

Im Sterben nicht allein lassen
Der Tod Jesu selber ist ja sehr unmenschlich gewesen. Er ist wirklich auf brutalste Art und Weise umgebracht worden. Für Christen war das immer auch ein Grund – jedenfalls in Teilen - sich verantwortlich zu fühlen dafür, dass menschlich gestorben werden kann. Wo sehen Sie da Herausforderungen für Ihre Bewegung, ganz speziell?

Das ist ja sozusagen Ziel der ganzen Hospizbewegung, die ja aus USA und England kam -diese Nationen sind uns da sehr vorausgegangen. Menschliches Sterben bzw. von Menschen begleitetes Sterben, das ist ja unser Ziel. Dass besonders auch diejenigen, die es sehr schwer haben, die kein soziales Umfeld haben, nicht allein gelassen werden. Da gibt es in einer Großstadt wie Stuttgart mit 60 % Singlehaushalten sehr viele Menschen.
Und es gibt auch so schwere Krankheiten, dass auch die Familie oder Freundeskreise das zu Hause nicht mehr halten können. Für diese Leidenden sind wir da als Unterstützer und Unterstützerinnen.
Sterben ist immer auch ein schmerzlicher Weg. Es kann auch ein dankbares Zurückblicken geben, so ein Gefühl von ‚ja, ich habe Segen erlebt und Segen weitergegeben, ich kann jetzt auch gehen‘. Das habe ich auch oft erlebt, auch wenn es nicht ausgesprochen wird, aber als Ausstrahlung. Aber der Schmerz des Abschieds ist bei allen Sterbenden da.

Und da dazu sein, das ist das Menschliche, was man tun kann.

Ja, weil verstehen in einem naiven Sinn kann man ihn sowieso nicht. Das glaube ich, werde ich erst dann können, wenn es für mich so weit ist.
Aber den Schmerz aushalten und aus dem Schmerz heraus Unterstützung und Stärkung geben. Das ist wichtig.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=17380
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