SWR1 Begegnungen

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Annette Bassler trifft Miro Haydar, Student der Wirtschaftswissenschaften, Vorsitzender Rock your life, e.V., MainzMiro Haydar

Studenten engagieren sich für Hauptschüler. Dass die ihren Weg finden und einen Beruf, der zu ihren Fähigkeiten passt. Und Hauptschüler sensibilisieren Studenten für Bildungsgerechtigkeit. Das ist „Rock your life“, eine Studentenbewegung besonderer Art. Miro Haydar, 24 Jahre alt, Student der Wirtschaftswissenschaften, hat den Verein Rock your life in Mainz gegründet. Sein Vater ist Syrer, die Mutter Deutsche. Bildungsgerechtigkeit ist ihm ein Herzensanliegen.

Die Idee, die hinter dem Projekt steckt ist, dass jeder Schüler eine Zukunft verdient hat, egal von welcher sozialen Herkunft er kommt. Dass jeder Schüler Potential und Fähigkeiten hat und dass man die so nicht aufgeben sollte.

Rock Your life, das ist eine Studentenbewegung, die es an bisher 40 Unistädten gibt. Die Idee: je ein Studierender begleitet  ehrenamtlich 2 Jahre einen Hauptschüler auf dem Weg ab der 7. Klasse bis zum Schulabschluss. Der Student bekommt dafür eine Coaching Ausbildung und kann viele praktische Erfahrung sammeln. Vor zwei Jahren hat Miro Haydar, Student der Wirtschaftswissenschaften, mit anderen einen Verein von RYL in Mainz gegründet und kümmert sich im Vorstand um die Organisation und die Finanzen. Rundfunkpfarrerin Annette Bassler hat den 24 Jährigen in einem Café in Mainz getroffen.

Bildung beginnt mit Wertschätzung
Ich war richtig gespannt auf ihn- da ist ein Student, der wahrscheinlich mal Investmentbanker wird und sich für Hauptschüler engagiert. Dabei mit Schulen, Firmenchefs, Stiftungsvorständen verhandelt, Kommilitonen zum Mitmachen motiviert. Und dann sitzt er vor mir, Miro Haydar, dunkle Haare, freundlicher Typ, sensibel, eher zurückhaltend, sehr präsent. Er sei schon immer sensibel für Probleme von benachteiligten Jugendlichen gewesen.

Dass die Schüler nicht dieselbe Chance auf Bildung in ihrer Kindheit bekommen und das ist für mich ein Punkt, für den ich persönlich sehr empfänglich bin: mein Vater hat mir bevor ich in die Schule kam, das Bruchrechnen beigebracht und da bin ich zum Glück so aufgewachsen, dass in meiner gesamten Kindheit großer Wert auf Bildung gelegt wurde.

Warum bringt ein Vater seinem Sohn vor der ersten Klasse das Bruchrechnen bei?
Miros Vater stammt aus dem muslimisch geprägten Teil von Syrien. Deutschland war für ihn das Land seiner Bildungschance. Die hat er dankbar ergriffen. Ist in Deutschland geblieben, wo seine drei Kinder geboren sind. Heute ist er promovierter Soziologe. Miros Mutter ist Deutsche.

Meine Mutter hat den Hauptschulabschluss gemacht, hat lange Jahre gearbeitet, ist dann zur Kindererziehung viele Jahre zu Hause geblieben und dann wieder zurück in den Beruf.

Ich spüre Respekt vor seinen Eltern. Ihre Wertschätzung von Bildung hat er sich zu eigen gemacht. Und dass Freundschaft, sogar Liebe möglich ist unter Menschen verschiedener Herkunft- sozial, kulturell, religiös. Bildung ist nicht nur Wissen, Bildung verschafft ein gutes Leben. Und sie fängt an mit Respekt und Wertschätzung. Davon haben Hauptschüler ja in der Regel nicht so viel bekommen.

Die erste Phase des Projekts ist wirklich nur, dass man sich kennenlernt. Dass man sich trifft im Eiscafé, auf der Bowlingbahn, dass der Student den Schüler zu sich einlädt in die WG, dass man mal zusammen kocht und man sich wirklich erst mal kennenlernt.

Kennenlernen, einander als Mensch wert schätzen, das ist der Anfang von allem. So fängt auch Bildung an- jedenfalls so, wie RYL das versteht. Also eine Lernpartnerschaft auf der Basis von Freundschaft?

Genau! für viele Schüler, auch Studenten ist das so ein Verhältnis. Jemand, an den man sich immer wenden kann, vielleicht auch wenn der Freund oder die Freundin Schluss gemacht hat, oder wenn man Ärger zu Hause hat. Also wirklich ein Freund an den man sich immer wenden kann.

So also fängt Bildung an. Und so geht sie weiter:

Zum Beispiel sollen wir nicht den Schülern vorgeben, wie sie ihre Sachen zu erledigen haben. Wir sollen ihnen auch nicht Ratschläge geben, hey mach es so und so. Sondern versuchen, den Schüler selbst drauf zu führen, also ihn zu fragen: wie hast du dich in der Situation gefühlt? Wie könnte es besser laufen?

Was willst du, dass ich dir tue? Hat Jesus oft gefragt. Meistens ist danach ein Wunder passiert. Erstaunlich, dass das heute noch genauso geht.

Lernen fürs Leben
Es passiert nicht oft, dass Studierende und Hauptschüler miteinander Kontakt haben. Beide werden in Milieus groß, die immer weniger miteinander zu tun haben. RYL macht das erfrischend anders und überrascht damit alle, die mitmachen.

Also auch mich hat es wirklich überrascht, wie die Hauptschüler so ticken. Ich glaub, ich war da auch nicht frei von Vorurteilen. Und mich hat es überrascht, was das für aufgeweckte junge Leute teilweise sind. Aber auch wie unterschiedlich die sind.

Offen sein für Andere, nicht gleich urteilen, das lernt ein Student, wenn er einen Hauptschüler begleiten will, am Anfang. Dass er verlässlich sein muss für seinen Hauptschüler und ein Gegenüber, der ihm hilft, seinen Weg zu finden. Das braucht viel Kreativität.

Ich kenne ein Coaching Pärchen, wo der Student den Schüler mitnimmt in die Uni, jeden Samstag oder Sonntag, und der Student lernt dort für seine Jurastaatsexamen und der Schüler lernt für seine Mathearbeit. Natürlich ist es das Ziel, dass sie ihren Hauptschulabschluss schaffen. Die Frage ist, wie geht’s weiter? Ist es besser, den Realschulabschluss zu schaffen? Oder eine Ausbildung wär das Beste? Oder was ganz Anderes? Also wir sind nicht dafür da, die Schüler in Berufe zu vermitteln, wir sind nicht das Arbeitsamt. Aber es geht darum herauszufinden: was hat der Schüler für Fähigkeiten und was ist am besten für ihn.

Das kenne ich: man weiß nie, ob man wirklich hilfreich war. Miro Haydar erzählt mir von einem Kommilitonen, der große Zweifel hatte, ob er hilfreich war für seinen Hauptschüler mit Migrationshintergrund.

Die haben sich ein Jahr lang getroffen und super verstanden. Da hat der Student den Schüler gefragt: was bringt es dir eigentlich, dass wir uns treffen? Und da hat der Schüler geantwortet: du bist der Einzige, der mit mir richtiges Deutsch redet. Ansonsten zu Hause, mit meinen Freunden, mit mir spricht sonst keiner richtiges Deutsch.

Du redest als Einziger mit mir richtiges Deutsch! Kaum zu glauben, dass Jugendliche niemanden haben, der sie sprachlich ernst nimmt als Mitglied dieser Gesellschaft. Ich bin überzeugt, das werden beide nie vergessen. Und ich glaube auch, dass Miro Haydar einmal ein „etwas anderer“ Investmentbanker werden wird, sollte er diesen Beruf einmal wählen.

Das ist ein Thema, was mich sehr stark beschäftigt- der Umgang mit dem Geld oder vielleicht auch die Verteilung von Geld und Macht in unserer Gesellschaft. Und da hab ich jetzt natürlich auch selbst keine Antwort auf diese Frage, wie das am besten zu regeln ist, aber ich hoffe, dass ich in der Zukunft einen Weg finde, wie ich einen Job, Geld verdienen damit vereinbaren kann mit meinem Gewissen und meinen Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaft.

Was ihr einem der Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan, hat Jesus einmal gesagt. Den Geringsten im Bildungssystem zu Selbstvertrauen und einem aufrechten Gang verhelfen, darauf liegt ein Segen. Oder um es in der Sprache der Studierenden von RYL zu sagen: Hauptschülern helfen, das rockt!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=16832
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