SWR4 Sonntagsgedanken

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Den Bogen entspannen

Es ist August - für viele der Urlaubsmonat schlechthin. Raus aus dem Alltag und faulenzen, am besten gleich mehrere Wochen lang. Auch bei mir ist das so. Schon lange freue ich mich auf meinen Urlaub, weil ich einfach merke, dass die Luft raus ist. Ich muss endlich mal wieder auftanken, gründlich ausschlafen und was anderes sehen.

Umso mehr bin ich neulich erschrocken, als ich in der Zeitung gelesen habe, dass ein langer Urlaub gar nicht viel bringt. Gut, man hat Zeit für die Familie, kann seinen Hobbies nachgehen oder andere schöne Dinge tun. Für die Erholung aber braucht es keine wochenlange Auszeit - das sagen zumindest die Forscher. Acht Tage sollen es sein, bis man wieder fit ist. Jeder Tag mehr ist zwar schön, aber eigentlich nicht nötig. Und die Forscher sagen noch mehr: Die Energie aus dem Jahresurlaub hält nicht lange. Spätestens im Herbst kommt die Müdigkeit zurück und die Akkus sind wieder leer.

Was aber kann man dagegen tun? Vom Apostel Johannes wird eine bemerkenswerte Geschichte überliefert. Sie erzählt, dass er zwischendurch immer wieder mal mit einem zahmen Rebhuhn gespielt hat. Eines Tages sieht das ein Jäger und ist völlig empört: Wie kann ein Mann wie Johannes seine wertvolle Zeit nur mit Spielen verplempern? So viel Sinnvolles hätte er doch in diesem Moment leisten können. Johannes aber bleibt gelassen und stellt dem Jäger nur eine Frage: „Warum hältst Du den Bogen in Deiner Hand nicht ständig gespannt?" Für den Jäger ist die Antwort klar: „Wenn ich das tue, verliert mein Bogen an Spannkraft! Und wenn es drauf ankommt, hat der Pfeil nicht mehr genügend Antrieb."

Genau so ist das auch bei mir! Um für den Alltag dauerhaft fit zu sein, brauche ich regelmäßige Auszeiten. Zeiten, in denen ich wie Johannes nichts leiste, nichts produziere und einfach das tue, was mir gefällt. Ob ich mehrere Tage ins Grüne fahre oder nach der Arbeit noch eine kurze Runde mit dem Fahrrad drehe; ob ich mit Freunden ein Bierchen trinke oder einfach ein gutes Buch lese - das ist völlig egal. Hauptsache ich gönne mir Momente, in denen ich die Spannung rausnehme.

Wenn ich demnächst in Urlaub fahre, werde ich daran denken: Der Jahresurlaub ist wichtig - keine Frage. Wie der Jäger aber seinen Bogen immer wieder entspannt, muss auch ich regelmäßig ausspannen. Nur dann habe ich genügend Kraft, um dauerhaft meine Aufgaben zu meistern und meine Ziele zu verfolgen. Und nur dann bin ich gerüstet, wenn es in meinem Leben darauf ankommt.

verreisen in die Welt und ins eigene Ich 

Es ist wichtig, sich regelmäßig zu entspannen. Nur wer erholt ist, kann den Alltag meistern. Erholung - das verbinden viele mit „reisen": raus von Zuhause und alle Sorgen weit hinter sich lassen. Am Frankfurter Flughafen wird das besonders deutlich: bis zu 200.000 Menschen sind dort im Sommer täglich unterwegs. Viele davon Touristen, die in Urlaub fliegen.

Was in diesen Trubel scheinbar so gar nicht reinpasst, ist die Kapelle am Flughafen. Sie ist zentral von der Abflughalle aus erreichbar und liegt doch etwas abgeschieden auf der Empore. Und sie wird gut besucht: von Menschen, die am Flughafen arbeiten, von Geschäftsleuten und auch von Touristen.

Ich habe mir sagen lassen, dass manche Flughafenmitarbeiter gezielt zum Gebet und zum Gottesdienst in die Kapelle kommen. Sie unterbrechen ihre Arbeit und gönnen sich eine ruhige Minute, in der sie mit Gott sprechen und ihm anvertrauen, was sie umtreibt.

Auch Geschäftsleute, die von einem Flughafen zum anderen reisen, nutzen diesen Raum. In der Stille tauchen sie in ihre Gedanken ab und besuchen ihre Lieben zuhause. Das gibt ihnen Kraft - auch weit weg von zuhause.

Touristen überbrücken in der Kapelle manchmal die Zeit bis zum Abflug. Einige bitten Gott um seinen Segen für die Reise. Andere setzen sich einfach in die Stille und lassen die Hoch- und Tiefpunkte der letzten Tage noch einmal vorbeiziehen. Sie wollen mit dem, was in der letzten Zeit so alles war, innerlich abschließen bevor der Urlaub beginnt. Wieder andere fürchten sich vor dem Flug und vor dem, was unterwegs passieren könnte. Sie denken ganz bewusst über ihr Leben nach, gehen in sich und beschäftigen sich mit dem, was sie bewegt.

All diesen Menschen ist eines gemeinsam, ob sie die Kapelle regelmäßig besuchen oder nur einmal kurz vor dem Abflug: Sie tauchen ab in ihr Inneres. Sie nutzen die Kapelle, um einen Augenblick ganz für sich allein zu haben. Sie ordnen innerlich, was sie beschäftigt. Sie suchen nach dem, was ihnen Halt und Kraft gibt, und fragen danach, was sie antreibt.

Ein unscheinbarer Raum der Stille an diesem Flughafen, an dem gerade in der Urlaubszeit noch mehr los ist als sonst. Ich glaube, es könnte keinen besseren Ort für diese Kapelle geben. Für mich nämlich weist sie auf etwas ganz Entscheidendes hin: Wenn die Urlauber nach Frankfurt kommen, wollen sie den Alltag weit hinter sich lassen und Abstand gewinnen. Sie fliegen in die Ferne und suchen dort nach Erholung. Wirklich auszuspannen, die Spannung aus dem Alltag rauszunehmen, ist aber mehr! Es geht darum, gerade auch in die andere Richtung zu reisen, ganz tief ins eigene Ich hinein. Nur dort nämlich finde ich das, woraus ich täglich schöpfe: meine persönlichen Kraftquellen, die mich halten und tragen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15813
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