SWR2 Zum Feiertag

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Ein Gespräch mit Prof. Albert Biesinger, Tübingen und Pfarrerin Karoline Rittberger-Klas

Heute, an Fronleichnam, machen sich katholische Christen in vielen Gemeinden auf den Weg. In feierlichen Prozessionen ziehen sie über die Felder. Herr Prof. Biesinger, Sie sind Professor für Religionspädagogik an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen - werden Sie heute auch unterwegs sein?

Ja, ich werde in Rottenburg am Neckar bei der Fronleichnamsprozession mitgehen, das ist für mich aus meiner Kindheit ein ganz großes Fest mit viel Emotion. Das Fronleichnamsfest ist mehr durch die Stadt gehen, nicht durch die Fluren. Es steckt grundsätzlich theologisch dahinter: Jesus, den Christus, in das Leben hinauszutragen, in den Alltag, in die Zusammenhänge wo die Menschen sonst auch leben. Und in Rottenburg ist es dann auch ganz heftig [...] wenn dann der Bischof den Segen gibt mit der Monstranz, wo das eucharistische Brot dann aufgefangen ist und präsentiert wird, dann kommen Böllerschüsse und die Kirchenglocken läuten. Und das war für mich als Kind immer ganz faszinierend. Also es hängt auch etwas mit dieser sinnlichen Liturgie zusammen, die die katholische Kirche bewahrt hat.

Also von der äußeren Form her etwas sehr Sinnliches, etwas sehr Erfahrbares. Als evangelische Christin ist mir dieser Teil des Fronleichnamsfests, dass man diese geweihten Hostien verehrt eher fremd - was ich aber schön finde, ist das Unterwegssein. Das Herausgehen aus den Kirchenmauern in die Natur oder in die Stadt, dahin, wo die Leute am Feiertag unterwegs sind, um sich dort zu zeigen...

Ja, darum geht es eigentlich und da steckt auch etwas dahinter von einem interessanten Bild von Gott, nämlich dass die gesamte Wirklichkeit zu Gott gehört und dass man nicht nur in der Kirche, eine Stunde in der Woche und abgespalten von der alltäglichen Wirklichkeit die Kommunikation mit Gott erleben kann, sondern dass die Gotteskommunikation alle menschlichen Lebensbereiche betrifft, eben an den Geschäften vorbei, am Einkaufszentrum vorbei, an der Tankstelle vorbei, über den Neckar uns so weiter.
Gott ist die höchste Komplexität von Wirklichkeit für mich - also eine höhere Komplexität von Wirklichkeit ist nicht denkbar für mich - und deswegen gehört die ganze Welt zu Gott und nicht nur das Segment, wo man sich zum Gottesdienst trifft.
Es geht auch darum: das pilgernde Volk Gottes - also wir tragen das Goldstück unseres Glaubens hinaus, und letztlich ist das ja ein symbolischer Akt. Aber ich versuche ja jeden Tag Jesus Christus in mir ankommen zu lassen, ohne dass ich da die Hostie vorantrage.

Wenn Kirche in der Öffentlichkeit Präsenz zeigt, wie bei so einer Fronleichnamsprozession durch die ganze Stadt oder auch bei anderen Gelegenheiten, wenn zum Beispiel der Kirchenchor im Einkaufszentrum singt in der Adventszeit oder die Kirche bei der Hochzeitsmesse einen Stand hat, ist das, glaube ich, immer eine Gratwanderung: Während die einen es als weltoffen und einladend empfinden, sehen die anderen es schon als aufdringlich, übergriffig an und fühlen sich vereinnahmt. Was ist da zu beachten?

Zunächst mal finde ich das ja gut, mir fällt gerade das Bild ein: Am Heiligen Abend musste ich dieses Jahr nach Berlin fahren und hatte in Stuttgart am Hauptbahnhof Aufenthalt, und da hat eine große Gruppe, ein großer Chor, Weihnachtslieder im Hauptbahnhof gesungen. Und viele, viele Menschen haben sich drum herum gestellt und haben sich gefreut, dass sie sich getrauen, christliche Lieder am Hauptbahnhof zu singen  in der Heiligen Nacht. Es hat ja auch was, wenn es solche klaren Ansagen gibt. Es gibt ja auch Demos für verschiedene Anliegen, die sind selbstverständlich in der Gesellschaft akzeptiert, warum sollen dann nicht Christen mit ihren Ideen an öffentlichen Plätzen - es ist ja auch eine Ausübung der Religionsfreiheit - ihre Signale aussenden. Das einzig wichtige ist, dass man sich dabei nicht besonders gut dabei vorkommt, also es gehört eine gewisse Sensibilität dazu, weil sonst ja das Anliegen kaputt ist.

Ich glaube, diese besondere Sensibilität, wenn Kirche in die Öffentlichkeit geht, kommt auch daher, dass Kirche schon teilweise noch als Machtfaktor verstanden wird. Obwohl es wahrscheinlich eine sehr unterschiedliche Wahrnehmung gibt, Menschen die selbst in der Kirche arbeiten, oft das Gefühl haben, Kirche steht schon eher am Rande der Gesellschaft - Menschen, die mit Kirche wenig zu tun haben, haben aber immer noch oft den Eindruck, Kirche ist eine sehr mächtige Institution in unserer Gesellschaft. Und ich glaube, deshalb wird es oft auch so kritisch gesehen.

Ja, ich denke, das ist schon was dran. Wenn der erste Eindruck ist: Jetzt zeigen sie ihre Macht - die gar nicht so groß ist in der Gesellschaft, wie manche meinen...

Faktisch nicht, aber ich glaube, der Eindruck ist da.

Ja, der Eindruck ist da, und das kann Menschen dann auch verbauen, dass sie das eigentliche Anliegen begreifen können. Dass es da um ein religiöses, heiliges Ritual geht, wo gebetet wird, wo Menschen Gott hineintragen wollen in den Alltag. Es tut einer Stadt ja auch gut, wenn es Menschen gibt, die sagen: Gott wohnt in unserer Stadt und wir gehören zum Bereich Gottes. Also „Reich Gottes" heißt ja: Wir gehören zum Be-Reich Gottes. Und da fällt nichts heraus. Da fallen nicht die Armen raus und nicht die Kranken. Ich erlebe das in Rottenburg auch so, dass vor dem Altersheim dann auch die Menschen, die im Rollstuhl gar nicht mehr alleine runterkommen können, dass die Pflegekräfte die dann runterfahren und dass sie dann da stehen und oft mit Tränen in den Augen das erleben, wie die betenden Menschen vorbeigehen. Also es ist oft berührend, was sich da abspielt, also was gar nicht so nach Macht riecht, sondern nach Solidarität mit denen, denen es nicht so gut geht.
Und ich finde auch, gerade die katholische Kirche tut gut daran - und deswegen bin ich auch froh, dass es jetzt in Rom angekommen ist - das zu reflektieren: Jesus von Nazareth war kein Machtmensch. Jesus würde die Tischplatte durchhauen, wenn er das sehen würde, wenn manche meinen, sie müssten anderen Menschen ihre Macht zeigen. Hat er ja auch gemacht, er hat sich ja dauernd mit denen angelegt, die die ausgegrenzt haben, die die Mächtigen nicht wollten.

Das ist richtig, da war er auch nicht zurückhaltend...

Nein, da war er zornig.

Wir hatten schon ein paar Beispiele angesprochen, wie es sein kann, wenn Kirche ihre eigenen Gebäude und Strukturen mal verlässt und nach draußen geht, wenn Christen woanders hingehen, wo man sie zunächst nicht erwartet, oder auch Kirche sich in einem Kontext zeigt, wo man sie nicht erwartet  - was sind für Sie gelungene Beispiele - Sie haben das Beispiel am Hauptbahnhof erwähnt - gibt es andere Beispiele, wo Sie sagen: Da ist es gelungen, da ist was passiert, was in Bewegung gekommen?

Ja das Herausgehen ist vor allem auch - ich bin Diakon - in dem diakonischen Zusammenhang topwichtig. Also wir bräuchten viel mehr Nachbarschaftssolidarität, heraus aus dem eigenen Haus, vielleicht ins übernächste Haus, wo eine Frau allein, von ihren Kindern nicht mehr besucht, weiterleben muss. Das wäre mal das eine. Gott ist ja nicht nur in der Hostie. Ich habe in Lateinamerika, in Peru, auch sehr viel Befreiungstheologie kennengelernt über Gustavo Gutierrez, der ein Freund von mir ist, und der sagte mir mal: „Alberto, in den Augen der Armen begegnet dir Gott." Das heißt: das Herausgehen muss nicht nur eine spezielle Aktion sein, sondern zu den Christen und Christinnen würde auch gehören, in der ganz alltäglichen Kommunikation aus sich selbst herauszugehen, also aus der eigenen Abgeschlossenheit und dem Nur-an-sich-selber-Denken herauszugehen und in Kommunikation zu treten mit konkreten Menschen. Es ist ja auch umgekehrt: Gott kommt zu uns, er ist längst da. Und dann ist es auch gut, dass wir die Erfahrung, die wir mit ihm gemacht haben, auch wieder hinaustragen in die Kommunikation mit anderen Menschen.

Wann und wo immer Christen sich auf den Weg machen, ob an Fronleichnam oder an anderen Gelegenheiten - sie tun es ja nicht zum Selbstzweck, um mal wieder in die Presse zu kommen, sondern, weil sie eine Botschaft haben, die sie weitergeben möchten. Wenn Sie den Kern dieser Botschaft, um die es immer geht, ganz kurz zusammenfassen sollten, was würden Sie sagen?

Wir haben wirklich ein Goldstück im Christentum, nämlich, dass Gott, der Heiland der Welt, aus der göttlichen Welt kommt und uns den Himmel öffnet. In keiner anderen Religion wird Gott Mensch. Das gibt es nicht. Deshalb bleibe ich immer Christ, denn das ist überhaupt der Hit für mich. Wenn Gott den Menschen so nahe kommt, dass er selbst als Mensch die Kinder auf die Arme nimmt und sie segnet, die Kranken in die Arme nimmt und heilt, die Ausgestoßenen tröstet, heftig rumstreitet, wenn sie eine Frau steinigen wollen - dann ist das doch ein Gottesbild, das ist phänomenal.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=15411
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