SWR2 Zum Feiertag

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Wahrheitsanspruch und Dialogfähigkeit des christlichen Glaubens
ein Gespräch mit Prof. Christoph Schwöbel, Tübingen

Choraleinspielung: O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein...

Rittberger-Klas: So beginnt ein  bekanntes Pfingstlied. Herr Professor Schwöbel, Sie sind evangelischer Theologe, lehren Systematische Theologie an der Universität Tübingen - wie erklären Sie, was Christen meinen, wenn sie an Pfingsten vom „Geist der Wahrheit" singen?

Schwöbel: Zunächst erinnert diese Formulierung ja an das erste Pfingstfest, das Pfingsterlebnis, in dem der ersten christlichen Gemeinde in Jerusalem die Wahrheit der Christusbotschaft neu einleuchtete. Und an dieser spezifischen Erfahrung hat die christliche Gemeinde eine Erfahrung mit Wahrheit überhaupt gemacht, nämlich dass Wahrheit ein Widerfahrnis ist, eine Erfahrung, die sich für uns einstellt, die also nicht manipulierbar ist, nicht machbar ist, sondern gegeben werden muss. Deshalb auch die Einladung: O komm du Geist der Wahrheit.

Rittberger-Klas: Jetzt erlebe ich, wenn ich zum Beispiel mit meinen Schülern im Religionsunterricht darüber rede, dass Wahrheit ist eine Kategorie, die - zumindest in Glaubensdingen - ihnen ganz problematisch scheint. Bei den Schülern herrscht eher die Haltung vor: „Das kann man nicht sagen, was wahr und unwahr ist, das muss jeder für sich wissen. Und da kann man auch niemandem reinreden." Wie stehen Sie dazu?

Schwöbel: Auf der einen Seite ist da etwas ganz Richtiges dran: Wahrheit, gerade ist religiösen Dingen, ist sicher immer eine persönliche Erfahrung und sie führt zu einer persönlichen Gewissheit. Wobei das für uns eine Lebensgewissheit ist, die uns Orientierung gibt in unserem Leben, was für uns zu einem bestimmten Moment alternativlos ist. Wo wir nicht sagen würden „naja, das kann man so oder so machen." Die andere Sache ist die, dass man daran festhalten muss, dass es die Gewissheit einer Wahrheit sein kann, also dass diese Gewissheit auch in ihrem Wahrheitsgehalt kommuniziert werden kann. Und da finde ich es sehr problematisch, wenn  - nicht nur bei Schülerinnen und Schülern im Religionsunterricht, sondern auch in unserem gesellschaftlichen Diskurs manchmal so eine relativistische Tendenz durchkommt: „Meine Wahrheit, deine Wahrheit - das kann man sowieso nicht entscheiden" Alle Kommunikation, an der wir beteiligt sind, lebt von der Wahrheitsunterstellung. Wenn ich in Tübingen jemanden nach dem Weg zum Bahnhof frage, dann unterstelle ich, dass er die Wahrheit sagt, und mir den richtigen Weg weist. Ohne diese Wahrheitsunterstellung ist Kommunikation nicht möglich. Und das gilt auch in religiösen Dingen.

Rittberger-Klas: Der Wahrheitsanspruch des Christentums wird oft als Hindernis für den Dialog gesehen. Das Institut für Hermeneutik an der Evangelisch-theologischen Fakultät in Tübingen hat unter Ihrer Leitung den Titel „Institut für Hermeneutik und Dialog der Religionen" erhalten. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass Ihnen Verständigung mit Andersglaubenden ein zentrales Anliegen ist. Oft wird ja die Gleichung aufgestellt: Wahrheitsanspruch gleich Absolutheitsanspruch gleich Intoleranz. Was haben Sie dem entgegen zu setzen?

Schwöbel: Es ist meines Erachtens so, dass man gerade für die Religionen sich klarmachen muss, dass sie einander mit ihren Wahrheitsansprüchen begegnen. Wenn die Religionen im Dialog den Wahrheitsanspruch ausklammern würden, dann würden sie sich nicht mehr als Religionen begegnen, sondern nur noch als kulturelle Formen. Der Wahrheitsanspruch ist für Religionen konstitutiv. Allerdings sehe ich in allen Religionen auch eine bestimmte Relativierung dieses Wahrheitsanspruches: Der Wahrheitsanspruch gilt eigentlich nicht für die eigene Religion, deswegen kann man meines Erachtens nicht von der Absolutheit des Christentums oder der Absolutheit irgendeiner anderen Religion sprechen. Innerhalb der christlichen Theologie ist schon sehr früh die Einsicht zur Durchsetzung gekommen: Absolut ist nur Gott. Insofern ist das Christentum eine sehr relative Größe, eine Größe, die nur in Beziehung zu dieser absoluten Wahrheit Gottes besteht. Die Absolutsetzung der eigenen Religion halte ich für Götzendienst an der eigenen Religion, der vom wahren Gottesdienst fortführt.

Rittberger-Klas: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch mich", das ist ja so ein klassischer Satz, der einem oft entgegengehalten wird, wenn es um die Toleranzfähigkeit, die Dialogfähigkeit des Christentums geht. Wie interpretieren Sie den Satz, der ja Jesus zugeschrieben wird im Johannesevangelium?

Schwöbel: Zunächst mal bedeutet das, wer immer gerettet wird, das heißt, wer immer in Gemeinschaft mit Gott dem Schöpfer kommt, der wird durch Jesus Christus gerettet. Und das ist meines Erachtens eine Hoffnung, die für den christlichen Glauben unverzichtbar ist und nicht nur für Christen gilt. Dieses bedeutet allerdings auch, dass das Bekenntnis des christlichen Glaubens nicht den Status einer unabdingbaren Voraussetzung für das Gerettet-Werden haben kann, so dass man sagen kann: Eigentlich geschieht dieses Gerettet-Werden dadurch, dass wir den Glauben bekennen. Gott ist das Subjekt der Rettung und Gott ist der, der Rettung, Heil - Gemeinschaft mit dem Schöpfer - schenkt. Und dieses darf durch diese Formulierung nicht irgendwie eingegrenzt werden. Deshalb hoffen Christen, dass alle Menschen in Jesus Christus gerettet werden, ob sie nun zum gegenwärtigen Zeitpunkt an Jesus Christus glauben oder nicht.

Rittberger-Klas: Das heißt, man kann sagen: Ob wir Christen tolerant sind oder nicht, ist eine Sache - aber Gott ist auf jeden Fall tolerant?

Schwöbel: Martin Luther, der das Wort Toleranz in die deutsche Sprache eingeführt hat, hat den Begriff der Toleranz vor allen Dingen in Bezug auf das Verhältnis zwischen Gott und dem Sünder und Gott und dem Glaubenden verwendet. Und das Wort hat dort seinen Platz, wo er sagt: Gott hat uns ja schon toleriert, als wir noch Sünder waren, bevor wir zum Glauben gekommen sind. Und dieses halte ich für eine sehr wichtige theologische Anregung, mit dem Begriff der Toleranz umzugehen. Mir scheint es so, dass Christen aufgrund der Erfahrung wie ihr eigener Glaube konstituiert ist, wie sie selbst zum Glauben gekommen sind, sehr genau wissen, dass der Glaube ein Geschenk Gottes ist, ein Werk Gottes an ihnen, etwas, das nicht gemacht werden kann, weder für einen selbst noch für andere Menschen, und diese Einsicht in das Zustandekommen des eigenen Glaubens ermöglicht auch die Toleranz des Glaubens anderer, denn in den anderen Religionen wird man genauso Beschreibungen finden, dass sie jeweils ihre Einsicht der Wahrheit nicht für sich selbst hergestellt haben, sondern dass sie ihnen geschenkt worden ist. Und das muss ich als Christ tolerieren, das muss ich akzeptieren, obwohl möglicherweise die Wahrheitsansprüche, die mit diesen Religionen verbunden sind, solche sind, die nicht einfach zu akzeptieren sind. Und das ist ja gerade Härte der Toleranz und auch ihre Größe, dass sie die unmögliche Tugend ist, weil Toleranz bedeutet, das hinzunehmen, was man eigentlich nicht akzeptieren kann.

Rittberger-Klas: Wenn ich von einer Wahrheit überzeugt bin, wenn mir diese Wahrheit eingeleuchtet hat und ich sie sogar als Weg zum Heil sehe, theologisch gesprochen, muss ich dann nicht versuchen, andere auch von dieser Wahrheit zu überzeugen? Und bin ich dann nicht schon unfähig zu echtem Dialog? Wenn ich schon weiß, wie das Gespräch enden muss am Schluss...

Schwöbel: Ich glaube nicht, dass der Dialog beinhalten kann, dass man schon weiß, wie das Gespräch enden muss, dass am Ende eines Dialoges immer ein Konsens steht. Der Dialog ist ein Weg zu mehr Verständnis, und mehr Verständnis bedeutet zunächst einmal das Verstehen von Unterschieden, das Verstehen von Differenz. Wir verstehen nur etwas, wenn wir es in seinen Unterschieden verstehen. Und es ist ganz sicher für den christlichen Glauben so, dass dieser Glaube selbst die Möglichkeit, die Bereitschaft und die Verpflichtung beinhaltet, anderen vom Inhalt dieses Glaubens weiterzusagen, das steckt schon im Begriff der Wahrheit drin. Man muss auch sagen, es wäre ein moralisch ziemlich zweifelhafter Verstoß gegen das Gebot der Nächstenliebe, wenn ich eine Wahrheit erkannt hätte, von der ich meine, sie vermittelt den Sinn des Lebens und den Weg zum Heil, und ich halte sie nun den anderen vor und teile ihnen nicht davon mit. Allerdings bietet der Dialog auch die Möglichkeit, noch mehr zu entdecken von der Wahrheit Gottes, die sich auch in der Religion des anderen zeigen kann. Mir scheint es sehr wichtig zu sein, dass die Religionen nicht verstanden werden aus christlicher Perspektive als Betriebsunfälle in der Geschichte Gottes mit der Welt, so als hätte Gott mit den Religionen nichts zu tun. Christen können nicht den allmächtigen, allgegenwärtigen Schöpfer bekennen und gleichzeitig die anderen Religionen als eine Art gottfreie Zone verstehen. Sondern ich bin davon überzeugt, dass es zu den Grundüberzeugungen des christlichen Glaubens gehört, dass Gott auch in den anderen Religionen handelt, allerdings auf eine Art und Weise, die uns oftmals verborgen erscheinen mag. Aber wir begegnen den anderen Religionen mit der Erwartung der Gegenwart Gottes in ihnen.

 

Hier endet die Sendung.
Das Interview in voller Länge mit weiteren interessanten Aspekten können Sie jedoch gerne weiterlesen:

Rittberger-Klas: Und trotzdem: Wenn sich zwei Menschen begegnen und beide mit der Absicht, den anderen von der eigenen Wahrheit zu überzeugen, zu missionieren, muss man da nicht aneinander vorbeireden?

Schwöbel: Also zunächst mal redet man dann über das, was einem wirklich am Herzen liegt - und das scheint mir für den interreligiösen Dialog von ganz großer Bedeutung zu sein. Es kann aber gut sein, dass man dabei auch entdeckt: Wir können einander nicht überzeugen, weil Überzeugungen zu schaffen, Gewissheiten zu schaffen, eben kein menschenmögliches Werk ist, sondern - wir Christen würden sagen - vom Geist Gottes geschenkt werden muss. Und das begründet auch einen spezifischen Respekt vor der Glaubensüberzeugung des anderen. Eben die Gewissheit, dass eine Glaubensüberzeugung geschenkt sein muss und nicht gemacht werden kann. Wenn sie gemacht werden könnte, dann wären wir ganz schnell auf dem Weg zu Manipulationen der schlimmsten Art, die hergestellt werden müssten. Man kann das an totalitären Regimen sehen , die der Meinung sind, das Orientierungswissen lehrbar ist und deshalb Weltanschauungsunterricht etablieren und die Leute, die mit diesen weltanschaulichen Wahrheiten dann nicht übereinstimmen können, dann aus der Gesellschaft ausschließen müssen. Das ist meines Erachtens in den Religionen nicht der Fall, weil sie ein Bewusstsein davon haben, dass Wahrheitsgewissheit geschenkt sein muss und deswegen die Würde einer Person an dem Respekt vor ihren Glaubensgewissheiten hängt - und das muss auch im Dialog zum Tragen kommen. Im Übrigen kann es durchaus sein, dass der Dialog nicht zu einem Konsens führt, aber sehr wohl zu Möglichkeiten der Kooperation, die dann jeweils ganz unterschiedlich begründet sein mögen. Ich halte es z.B. für unsere Gesellschaft ganz wichtig, dass für den zentralen Begriff der Menschenwürde Begründungen gefunden werden, auf der einen Seite des christlichen Glaubens, aber auf der anderen Seite auch von muslimischen Gläubigen, von jüdischen Gläubigen oder auch von Menschen, die atheistische Überzeugungen haben, und dass diese unterschiedlichen Begründungen aber kooperieren können in der Realisierung von Menschenwürde in der Gesellschaft.

Rittberger-Klas: Lessings Ringparabel, das ist ja wahrscheinlich einer der berühmtesten Texte zum Thema religiöse Toleranz, die Ringparabel macht die Wahrheitsfrage zu einer sittlichen Frage: „Es eifre jeder seiner unbestochenen von Vorurteilen freien Liebe nach", das ist der Rat des Richters an die Söhne, die wissen wollen, welcher ihrer Ringe der echte ist. Das heißt, das sittlich richtige Verhalten erweist eine Religion als wahre Religion. Lässt sich die Wahrheitsfrage auch so lösen? Wäre das eine Lösung für unsere Gesellschaft, in der diese verschiedenen Kulturen, Religionen aufeinander treffen mit ihren unterschiedlichen Wahrheitsansprüchen?

Schwöbel: Richtig ist, dass die richtige sittliche Orientierung keine Alternative zur Wahrheitsfrage ist. Das rechte Handeln hängt immer ab von einer bestimmten Beschreibung der Wirklichkeit, von einem Wirklichkeitsverständnis, das mir Auskunft gibt über meine Handlungsmöglichkeiten, Handlungsmittel, Handlungsziele, die Tugenden, die dabei eine Rolle spielen mögen. Sittlichkeit ist also nicht von Wahrheit zu trennen. Nun ist es so, dass man sagen muss, Nathan der Weise ist ein ganz beeindruckendes Stück mit beeindruckenden Charakteren, Nathan selbst und natürlich Sultan Saladin. Bei der Ringparabel gibt es allerdings eine Prämisse, die ich für problematisch halte und von der ich der Auffassung bin, dass sie religiösen Gläubigen auch anderer Religionen nicht akzeptierbar ist. Der Richter geht mit dieser Empfehlung von der Voraussetzung aus: „Der echte Ring vermutlich ging verloren." Und das würde bedeuten, dass die unterschiedlichen Glaubenden nun auf der Basis von Ungewissheit handeln in Bezug auf die Wahrheit ihres Glaubens. Das würde meines Erachtens in der Selbstbeschreibung von Religionen nicht akzeptierbar sein, sondern in den Religionen wird gehandelt auf der Basis der Gewissheit von Wahrheit. Dabei zeigt sich noch etwas, was an der Ringparabel nicht so einfach ist: Wer soll denn entscheiden, was der richtige Ring ist? Gibt es eine dritte Position außerhalb derer, die nun den jeweiligen Ring besitzen, der ihnen vermacht worden ist? Das halte ich für ein großes Problem. Diese Position des Richters ist eine, die im menschlichen Miteinander unbesetzt bleiben muss. Wir verhandeln jeweils miteinander als Leute mit bestimmten Positionen und nicht als die unparteiischen Richter der Überzeugung anderer. Was Lessing allerdings ganz richtig gesehen hat, ist, dass die jeweiligen Wahrheitsüberzeugungen sich auch im Umgang miteinander zeigen. Und die Überzeugungskraft und die beeindruckenden Qualitäten einer Religion zeigen sich m.E. vor allem auch darin, wie sie mit Andersglaubenden umgeht. Und es wäre m.E. für die Überzeugungskraft des Christentums sehr viel gewonnen, wenn der respektvolle, tolerante, auf Kooperation abzielende Umgang mit den Andersglaubenden ein Aspekt des Zeugnisses des christlichen Glaubens in unserer Gesellschaft wäre.

Rittberger-Klas: Der Heilige Geist als „Geist der Wahrheit" - das ist ein Aspekt des Pfingstgeschehens. Es gibt noch viele andere Wirkungen, die dem Geist als dritter Person des dreieinigen Gottes zugeschrieben werden. Welche dieser Wirkungen ist Ihnen persönlich besonders teuer? Oder anders gefragt: Wenn Sie heute Pfingsten feiern, was feiern Sie dann?

Schwöbel: Die Verbindung, die immer wieder hergestellt worden ist zwischen dem Geist der Wahrheit und dem Geist der Freiheit, ist für mich besonders wichtig. Pfingsten ist ein Fest der Freiheit der Wahrheit. Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit, so heißt es schon bei Paulus, also das Herausgeführtwerden aus Formen der Knechtschaft, der Unterdrückung - wozu wahrscheinlich auch die Knechtschaft in unsere Illusionen und Selbsttäuschungen gehört - und damit Freiheit zu gewinnen, das halte ich für das Pfingstfest für besonders wichtig. Und das enthält auch eine Verheißung für unsere Kirche: Dass sie durch den Geist immer wieder neu in neue Freiheiten geführt wird. Dass sie also Gottes Gegenwart erlebt nicht nur als das Prinzip der Erhaltung des Bestehenden - und deswegen Selbsterhaltung das Gesetz des kirchlichen Handeln ist - sondern im Gegenteil der Aufbruch zu den Zielen, zu denen der Geist Gottes uns führt, und damit auch eine Offenheit. Denn die Zukunft ist das Reich des Geistes.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13122
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