SWR2 Zum Feiertag

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ohne Himmel fehlt etwas

Steinmann:
Frau Fuchs von Brachel, heute ist Christi Himmelfahrt. Würde etwas fehlen in der Reihe der christlichen Feiertage, wenn es diesen Feiertag bzw. das theologische Symbol „Himmelfahrt" bzw. „Himmel" nicht gäbe?

Fuchs  von Brachel:
Das ist zunächst einmal ganz schwer vorstellbar für mich, weil ich so in meiner Tradition verwoben bin, dass ich die Himmelfahrt kaum trennen kann aus den Bildern meines Glaubens. Ich habe es aber mal versucht und habe versucht, mir die Jüngerinnen und Jünger nach dem Tod und der Auferstehung Jesu vorzustellen, dahin zu spüren: Die Erfahrung von Verzweiflung, von im Stich gelassen Sein, von Bedroht Sein durch die römische Macht, weil der religiöse Führer ermordet worden ist. Wie soll es nun mit allem weiter gehen, das war ja die Frage, die die Jüngerinnen und Jünger umgetrieben  hat. Und dann kommt die Geschichte von Emmaus und die anderen Berichte der Präsenzerfahrung Jesu. Die Jüngerinnen und Jünger bleiben, aber im Rückzug, die bleiben in ihrer Irritation die verharren in Jerusalem, dem Zentrum der Bedrängung.
Und dann bringt die Apostelgeschichte die Geschichte von der Himmelfahrt Jesu:
Die Jünger sehen wie Jesus vor ihren Augen hochgehoben wird, in den Himmel fährt. Jetzt ist er sichtbar weg. Aber nicht in einem Grab der Verwesung anheim gegeben, sondern aufgehoben in der Dimension des Himmels. Himmel: ich würde es so übersetzen: In der absoluten, versöhnten, getrösteten und beglückenden Gegenwart Gottes. Und diese Gewissheit macht den Zurückgebliebenen das Loslassen möglich. Und wenn ich das so sehe, würde wirklich was fehlen, wenn wir diese Berichte nicht hätten.

Steinmann:
Christliche Feiertage haben die Eigenheit, dass man mit ihnen ganz grundlegende menschliche Erfahrungen, die wir alle machen - seien wir Christen oder nicht - mit ihnen verbinden kann. Man kann sie begreifen, man kann sie auch feiern, diese Erfahrungen. An Weihnachten geht es um Geburt: Was bedeutet das, dass wir alle Kinder sind? An Karfreitag geht es um fundamentale Erfahrung von Schmerzen, Leid und Tod. Welche fundamentalen Erfahrungen verbinden sich denn mit Christi Himmelfahrt?

Fuchs - von Brachel:
Da geht es ja zunächst mal um das Um sich selbst Kreisen, also das Gefangensein in einem erschütternden Verlustschmerz, weil das Lebenskonzept zerbrochen ist. Vielleicht, weil ich schwer erkrankt bin. Oder weil meine ganze Existenz in Frage  gestellt worden ist. Wenn ich das durchschritten und durchlitten habe und dann die Erfahrung mache,  dass dieses Leid aufgebrochen werden kann im konkreten Alltag in der Dimension Gottes: Zu fühlen, der geliebte Verstorbene ist aufgehoben in der Dimension Gottes. Und dass ich das als tröstlich erleben kann. Dass ich dieses Kreisen um mich selbst aufgeben kann und zu spüren wie mir aus der Not neue Kraft erwächst und ich beginnen kann, die anderen wieder zu sehen. Vielleicht ist es das, was ich mit Christi Himmelfahrt verbinde.
Ich sage es jetzt mal ganz locker: Die Versöhnung in der Dimension Gottes gönnen können und nicht in meinem Egoismus bleiben und in der Trauer ihn festhalten wollen, sondern für den anderen wieder empfinden zu können.

Steinmann
Darf man sich in dieser Himmelfahrtsgeschichte auch mit Christus identifizieren? Also: Gibt es auch Erfahrungen, die wir als Christen hier auf Erden machen können, die an das anschließen, was Christus selbst erlebt?

Fuchs - von Brachel:
Ich glaube, ich darf das als Person, aber ich darf das niemanden zuschreiben. Weil wir sind ja bei der Frage nach dem Leid, nach der Bedrohung des Lebens. Und wir dürfen auch nicht mit Christi Himmelfahrt die Fragen nach dem Leid, für die wir ja keine Lösung haben, die dürfen wir damit nicht beantworten.

Steinmann:
Wenn man die Erfahrung machen kann, ich habe erlebt, dass ich aus Leid so herausgekommen bin, dass ich hinterher sagen konnte: ‚Ich fühl mich wie im Himmel auf Erden oder so etwas. Wenn so etwas passiert, dann darf das für mich selber  sagen, aber man darf nicht sagen: ‚Wird schon wieder werden.'

Fuchs - von Brachel:
Das dürfen wir nicht angesichts des Leids, das in der Welt herrscht. Da dürfen wir nur hoffen, dass es eine Versöhnung in der Dimension Gottes für all diese Menschen gibt, die es im Leben nicht erfahren können.

„Himmel" - für Männer und Frauen

Steinmann
Frau Fuchs - von Brachel, in der biblischen Szene von der Himmelfahrt wird erzählt: Die Jünger stehen da, sie schauen in die Höhe, ich sage jetzt mal dazu ‚auch ein Stück weit sehnsüchtig'. Und dann heißt es ja, dass eine Engelsgestalt sie quasi zurecht weist und sagt: ‚Was schaut ihr da nach oben?' Latent ist damit der Hinweis  verbunden: Guckt nicht zu lang in den Himmel, guckt wieder auf den Boden runter. Er ist jetzt weg. Ihr seid jetzt dafür zuständig, Euch um die Erde zu kümmern.'
Ist das mehr eine männliche Geschichte, Gott in der Höhe zu suchen, in der Höhe des Erfolgs, in der Höhe des Sieges, an der Spitze, ganz oben sich dann auch Gott nah zu fühlen?

Fuchs von Brachel
Das weiß ich nicht. Letztlich weiß ich nicht, wie Männer ticken, weil ich denke, dass jeder Mann auch für sich ein Individuum ist. Was ich natürlich wahrnehme ist, dass es Trends gibt. Dass Männer andere Leben leben - immer noch- als Frauen.
Und dass Männer andere Erfahrungshintergründe haben. Männer werden auch eher dazu angehalten, ihr systematisches Denken zu profilieren. Und vielleicht spalten sie auch eher ihre Lebens - und Erfahrungsbereiche untereinander ab. Haben weniger Verbindung in ihrer Seele. Sondern haben da eher so Schachteln: Jetzt ist das dran, jetzt ist das dran. Männer haben aber auch länger von der Überwertung des Geistes und des Intellekts, die den Körper abspaltet, profitiert. Aber ich nehme jetzt auch wahr, dass Männer da in einer ganz anderen Bewegung sind und dass es viele gibt, die dagegen angehen. Und Sie mögen jetzt vielleicht schmunzeln, aber es gibt ja diese männliche Sitte, Christi Himmelfahrt als „Vatertag" umzudeuten und loszuziehen und sich einen schönen Tag zu machen. Das finde ich eigentlich wunderschön, denn ich sehe darin auch, dass Männer sich was Gutes tun wollen und in ihrer Rolle als Vater sich selber wert schätzen.

Steinmann
Wollen wir hoffen, dass es so gut endet heute wie Sie es beschrieben haben.

Fuchs - von Brachel:
Ja  genau.

Steinmann
Wie ticken denn Frauen, wenn sie den Himmel suchen?

Fuchs von Brachel
Frauen machen andere Lebenserfahrungen, die ich als ganzheitlicher beschreiben möchte. Die sind integrativer. Frauen leben ihr Muttersein, die leben Kultur, die leben ihren Beruf, leben ihr Frausein und versuchen das zusammen zu bringen in ihrer Identität. Frauen versuchen auch stärker Körper, Geist und Seele in eins zu bringen. Ich habe es schon gesagt, dass Frauen auch mit ihrem Körper beten.

Steinmann
Bleiben Frauen selbstverständlicher der Erde treu, während die Männer ja in dieser biblischen Geschichte auf die Erde ausdrücklich hingewiesen werden: Nicht in den Himmel zu starren und sich da in der Sehnsucht nach der Erhabenheit des Erfolgs zu verlieren, sondern hingewiesen zu werden: Ihr seid jetzt meine Nachfolgerinnen und Nachfolger, hier auf dieser Erde und da habt ihr euch zu kümmern und da ist Euer Leben und „Himmel jibt et vielleicht später."

Fuchs - von Brachel
(lacht). Ich weiß es nicht, ob ich das so allgemein beantworten kann. Ich nehme wahr, dass Frauen sehr viel stärker in ihrer emotionalen und auch ganz  praktischen Verwobenheit leben. Ich kann das mal mit einem Bild ins Wort bringen:
Frauen haben ein besseres Bewusstsein davon, dass jeder Mensch erst mal auf die Welt kommt und ganz ganz viel Fürsorge braucht. Und immer wieder auf diese Fürsorge auch angewiesen ist auch als erwachsener Mensch. Wenn ein Kind sich von der Mutter trennt, das Kind ist neun Monate von der Mutter versorgt worden, dann braucht es zunächst mal ganz viel Fürsorge von anderen Menschen, von der Mutter und von anderen. Muss jahrelang umsorgt und bekleidet werden und immer erhalten wir zunächst und das wissen Frauen, glaube ich, wie wichtig das ist, um das Leben am Laufen zu halten: Zu geben.
Selbst  der vermeintlich autonome erwachsene Mensch kann nicht leben ohne dass andere die Autobahnen bauen und die Kartoffeln anpflanzen. Und  wenn er alt ist, braucht er Menschen, die für ihn die Rente zahlen und die ihn versorgen. Und ich glaube, dass Frauen davon sehr viel wissen, von diesem großen Bezugsgewebe Welt und dass Frauen dieses Bezugsgewebe Welt auch lebendig halten können. Und die wissen auch, dass der vermeintlich zum Himmel starrende idealisierende Mann, der braucht auch was zu essen und der braucht einen Platz zum Schlafen. Und ich glaube, da sind Frauen wirklich sehr viel stärker.

Sinnvolles Tun

Steinmann
Es geht in dieser Geschichte um „Christi" Himmelfahrt, dass Christus bei Gott in einer all umfassend versöhnten Art ist.
Was bedeutet das für unsere Existenz hier in dieser Welt, in diesem Verwobensein in diese „Baustelle Leben und diese Baustelle Welt"?

Fuchs von Brachel
Das bedeutet, dass wir wissen, dass unsere Nachfolge nicht sinnlos ist, und dass wir die Hoffnung auf diese Versöhnung im Himmel, diese all umfassende, dass wir die nicht aufgeben sollen, weil uns das zugesagt ist, in der Nachfolgepraxis.

Steinmann
So schwierig, so fragmentarisch, so gebrochen, so unfertig, so unvollkommen sie sein mag? Sie steht unter dem Versprechen: Dieses findet unter einem Himmel statt und ist nicht allein nur geschafft und geschafft und gemacht  und möglicherweise vergeblich getan. Sondern es steht unter dieser Verheißung, dass es von  Christus, von Gott, vollendet wird. Ist es das?

Fuchs - von Brachel:
Und es heißt nicht, dass wir erfolgreich sein werden, aber dass unser Tun sinnvoll ist.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=13079
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