SWR3 Worte

SWR3 Worte

Im Kloster weckt uns die Hausglocke um 4 Uhr 40. Doch ich stelle meinen persönlichen Wecker ein paar Minuten später. Denn oft überhöre ich die Hausglocke. Meinen Wecker habe ich noch nie überhört. So gibt er mir die Gewissheit, dass ich rechtzeitig aufstehe. Aber er sagt mir mehr: Er lädt mich ein aufzuwachen. Wach sein, den Schlaf abzulegen, sich dem Tag zu stellen, das sind wichtige spirituelle Haltungen. Eine bestimmte Glaubensrichtung sieht den Zustand des Menschen als Schlaftrunkenheit. Er hat seine Augen vor der Wirklichkeit verschlossen. Tiefer Glaube heißt:
Aufwachen zur Wirklichkeit. Der Wecker stellt mich also täglich vor die Frage ob ich mir Illusionen über mein Leben mache, oder ob ich bereit bin aufzuwachen und mich dem zu stellen, was mir Gott zumutet.

Anselm Grün – Vom Zauber des Alltäglichen
Quelle: Anselm Grün, „Vom Zauber des Alltäglichen“, Kreuz Verlag, Stuttgart, 2007, S. 60

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