SWR4 Abendgedanken RP

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Jetzt geht für viele Jugendliche das Schuljahr in die heiße Phase. Die meisten haben ihre Bewerbungen schon geschrieben. Und dann beginnt das Warten. Gerade Hauptschüler haben ganz schlechte Chancen auf eine Lehrstelle. Ein katholischer Priester aus Mainz gibt die Hoffnung nicht auf. Der heutige Blickpunkt beschäftigt sich mit seiner ungewöhnlichen Lehrstellenvermittlung.


Teil 1 Der Ist-Zustand

Von hundert jungen Leuten unter fünfundzwanzig waren vierzehn im letzten Jahr ohne Arbeit. Dabei finden Hauptschüler besonders schwer eine Lehrstelle. Anette Begenat von der Goethe-Hauptschule in Mainz ist Klassenlehrerin einer neunten Klasse und nennt den wunden Punkt bei vielen Jugendlichen:

Es kommt natürlich immer da drauf an, wie das Zeugnis aussieht, das ist ganz klar, und der erste Blick fällt natürlich auf die Hauptfächer, ganz logisch, und auch auf die Mitarbeit- und Verhaltensnote. Und der nächste Blick, der fällt dann unten auf diese unentschuldigten Fehltage. Und dann gibt’s ja so gewisse Pappenheimer in der Klasse, die glauben, dies sei alles unwichtig, und haben daher, nach meiner Ansicht auch häufig dann schon Ablehnungen bekommen.

Dabei gibt es an der Goethe-Hauptschule unterstützende Maßnahmen und engagierte Lehrer. Aber viele Hauptschüler tun sich schwer mit dem Lernen, erfahren keine Unterstützung aus dem Elternhaus, sehen keine großen Perspektiven für ihre Zukunft. Warum also sich anstrengen? Ein paar Schüler haben schon aufgegeben, sagt Anette Begenat:

Es gibt einige wenige, die also eine feste Lehrstelle jetzt haben. Viele gehen auch auf eine weiterführende Schule um dann eben den Realschulabschluss anstreben zu können und zwei, drei, die hängen komplett in der Luft.

Wer nicht rumhängen will, bewirbt sich auf einer weiterführenden Schule. Aber für viele Hauptschüler ist das nur eine ‚Ehrenrunde’. Zwei Drittel schaffen den Realschulabschluss nicht und stehen ein Jahr später dann endgültig auf der Straße. Der sechzehnjährige Christopher Geis weiß, dass es für ihn nicht viele Alternativen gibt:

Weil bevor ich dann auf der Straße lande, oder so hab ich gesagt mach ich ne Ausbildung.

Die Lehrstelle verdankt Christopher der ungewöhnlichen Initiative des katholischen Pfarrers Fritz Röper. Der arbeitet schon seit mehr als dreißig Jahren für das Bistum Mainz im Sozialen Brennpunkt, vorwiegend in der Mainzer Zwerchallee. Die Jugendlichen liegen ihm dabei besonders am Herzen. Zusammen mit seinem Bruder, ebenfalls katholischer Priester, hat er eine Stiftung gegründet, die benachteiligten Kindern aus armen Familien helfen will. Seit Jahren organisiert er Hausaufgabenhilfen, gründet Wohngemeinschaften für Jugendliche, die Zoff in der Familie haben und sucht Lehrstellen für Hauptschüler. Fritz Röper weiß, dass das nicht leicht ist:

Da denke ich an das Interview des Vorsitzenden der Groß- und Außenhandelswirtschaft, der im Handelsblatt vor Weihnachten gesagt hat: Wer in Deutschland über fünfzig Jahre alt ist oder eine Hauptschulabschluss mit drei hat, der braucht sich in diesem Land nicht mehr zu bewerben. Und jetzt suchen wir Firmen, die diesem Ausspruch widersprechen, und sagen Nein, wir geben dir eine Chance.

Aber wie schafft er es, gegen den Trend anzugehen und schwierigen Jugendlichen eine Lehrstelle zu vermitteln?


Teil 2 Konkrete Hilfen

Wie schafft es ein katholischer Pfarrer immer wieder seit dreißig Jahren, schwierige Jugendliche in Lehrstellen unterzubringen? Das Zauberwort heißt Beziehungen. Pfarrer Fritz Röper kennt nicht nur viele Jugendliche schon seit Jahren und weiß, wo ihre Stärken und Schwächen liegen. Er kennt auch jede Menge Unternehmer in Mainz. Deshalb hat er Christopher Geis auch einen Praktikumsplatz vermitteln können. In der Mainzer Sanitärfirma Bauer konnte der Sechzehnjährige zeigen, was in ihm steckt. Der Chef, Rainer Bauer, war zufrieden:

War pünktlich, war ordentlich, hat gegrüßt also, es hat keiner von de Monteuren irgendwas Negatives gesagt, was eigentlich dann schon, ich sag jetzt mal: positiv ist. Und darum war das so eigentlich in Ordnung, dass er dann auch eine Lehrstelle bekommt.

Mit der Vermittlung einer Lehrstelle ist es allerdings nicht getan. Wenn das Elternhaus keine Unterstützung gibt, dann fühlt sich Fritz Röper selbst verantwortlich,

Drei Jahre stehen wir Ihnen zur Seite, wenn es Probleme gibt. Man wird keine unterbringen, wo man sagt, Hier habe ich einen netten Kerl für Sie – gucken sie mal, was aus dem wird, sondern sagt die Firma mit Recht: allein guck ich nicht, sondern nur gemeinsam.

Was bedeutet das aber, den Firmen zur Seite stehen? Pfarrer Fritz Röper:

Die werden schon, wenn’s sein muss morgens geweckt, gefahren und in der Schule sehr regelmäßig besucht. Aber man soll die Hoffnung nie aufgeben. Ich habe einen, der hat mit recht viel Schwierigkeiten zwei Ausbildungen gemacht – Maurer und Fliesenleger – und heute hat er eine Ausbildungseignungstest gemacht und kann selber ausbilden.

Fritz Röper hat nicht nur die Pfarrer-Röper-Stiftung gegründet, um benachteiligten Kindern einen Hoffnungsschimmer zu geben. Er bemüht sich auch um die Firmen. Jedes Jahr zum Tag der Arbeit vergibt seine Stiftung den „Caritas Preis“. Die Auszeichnung geht an Firmen, die benachteiligten Jugendlichen eine Chance geben. In diesem Jahr: die Wormser Elektro-Firma Knies und die Sanitär Firma Bauer.
Rainer Bauer freut sich natürlich über die Wertschätzung. Er gibt Hauptschüler eine Chance, weil er sich ganz gut in ihre Lage versetzen kann:

Ich hab des selbst gesehen, ich hab auch mit fünfzehn Hauptschulabschluss gemacht und hab dann irgendwann ne Lehre gemacht als Groß- und Außenhandels- Kaufmann. Und mit achtzehn ist man dann viel weiter und reifer und sagt: Ach, jetzt kann ich noch mal was machen. Mit fünfzehn sind die heut noch sehr jung und unerfahren und dann ist das nicht aussagekräftig.

Eigene Erfahrungen, deshalb gibt Rainer Bauer dem Hauptschüler Christopher Geis eine Chance. Aber Pfarrer Fritz Röper – warum macht er das? Warum fährt er Jugendliche morgens um vier in die Backstube und macht mit ihnen Hausaufgaben?


Teil 3 Die Motivation

In Rheinland-Pfalz fehlen in diesem Jahr rund 10.000 Ausbildungsplätze. Da wirken die Bemühungen von Pfarrer Fritz Röper und seiner Stiftung wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Zwei Firmen haben sich bereit erklärt, jeweils einen Hauptschüler auszubilden. Ist das nicht wenig? Fritz Röper antwortet mit einer portugiesischen Geschichte:

Ein Opa geht mit dem Enkelkind am Meer entlang. Der Enkelsohn wirft ein Seestern nach dem anderen ins Wasser und der abgeklärte Opa sagt: Bub, das hat gar keinen Sinn, du kannst nicht alle Seesterne retten. Daraufhin hebt der Enkel den nächsten Seestern auf, wirft ihn ins Wasser und sagt: Siehst du Opa, aber diesen Seestern, den hab ich gerettet. Ähnlich können auch wir nur arbeiten. Einzelnen, die in irgendeiner Weise zu uns gestoßen sind, denen versuchen wir, den Weg ins Leben zu erleichtern.

Doch Fritz Röper hilft nicht nur konkret, er denkt auch strategisch. Hält Kontakt zu Politikern und Unternehmern. Und wenn er jedes Jahr den Caritas-Preis vergibt, dann hat das natürlich Wirkung in der Öffentlichkeit.
Der Sanitärchef Rainer Bauer jedenfalls ist begeistert, dass ein Katholischer Pfarrer dorthin geht, wo man es nicht vermutet:

Wenn ich also seh, dass ich in der Kirche dann Gläubige hab, die sechzig und älter sind oder die sonntags dann jeden Tag in die Kirche gehen, die brauch ich nit großartig zu bekehrn. Aber da an der Basis, wo also die jungen Leute dann auch geholfen kriegen, da kann ich dann natürlich auch was tun.

Denen zu helfen, die sonst eher am Rande stehen, die in der Kirche kaum noch vorkommen und die von der Gesellschaft aussortiert werden, das ist die Motivation von Pfarrer Fritz Röper. Dabei orientiert er sich an Jesus. Wie er möchte er die Ausgestoßenen und Schwachen in den Mittelpunkt stellen. Für die Katholische Kirche ist das ein Muss, sagt Pfarrer Röper:

Weil die Option für die Armen nicht ein Privileg Südamerikas ist, sondern überall dort Platz greifen muss, wo Kirche lebendig sein will.

Deswegen geht er seit dreißig Jahren dorthin, wo es bitter nötig ist. Dabei hat er es weder auf riesige Erfolgsquoten noch auf Dankbarkeit abgesehen.

Vereinzelt gibt es so was. Aber wir sollten nicht mehr erwarten als dem Herrn Jesus begegnet sind von denen, die er geheilt hat. Da kamen von zehn einer. Dies Verhältnis ist vielleicht bei uns ein bisschen besser. Aber insgesamt sind es rund fünfzig, die wir in irgendeiner Weise in Arbeit oder Ausbildung gebracht haben.

Fünfzig Menschen, die sonst kaum Chancen auf eine Zukunft gehabt hätten. Jugendliche wie Christopher Geis. Sie sind dankbar, dass es jemanden gibt, der immer wieder Seestern für Seestern ins Wasser zurückwirft. https://www.kirche-im-swr.de/?m=1288
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