SWR2 Zum Feiertag

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Wolf-Dieter Steinmann im Gespräch mit Prof. Dr. Ruben Zimmermann, Professor für Neues Testament an der Universität Mainz

Tempelkritiker und Aufständischer

Steinmann:
Herr Prof. Zimmermann, wie stellen Sie sich denn vor, was sich vor 1980 Jahren in Jerusalem zugetragen hat?

Zimmermann:
Es gibt eigentlich nichts, was im Leben Jesu so sicher ist wie sein Tod am Kreuz. Diese Todesart ist so außergewöhnlich für einen religiösen Führer, dass man schon allein daher sagen kann, dieses Ereignis ist bemerkenswert. Wir wissen, dass diese Todesart insbesondere von Römern angewandt wurde und zwar für politische Aufrührer.
Es gibt von dem jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus Angaben, dass es teilweise sogar Kreuzigungen mit Hunderten von Personen gegeben hat.

Steinmann:
Wie konnte es dazu kommen, dass nun ausgerechnet Jesus als Aufständischer angeklagt worden ist? Wer hatte denn ein Interesse daran?

Zimmermann:
Die Kreuzigung selber als Hinrichtungsart ist eindeutig römisch, die jüdische Hinrichtungsart wäre Steinigung gewesen.
Wir erfahren nach dem Evangelium Markus zB. dass es auch einen Prozess vor jüdischen Autoritäten gegeben hat. Ich denke, es gibt gute Gründe, die dafür sprechen, denn Jesus hat sich durchaus mit jüdischen Autoritäten angelegt.
Bei den jüdischen Autoritäten war die Tempelkritik Jesu der entscheidende Aufhänger. Wenn man mal im Israelmuseum in Jerusalem war, dann ist eine Miniatur der Stadt zur Zeit Jesu abgebildet und man sieht, dass etwa ein Viertel des gesamten Stadtbereichs der Herodianische Tempel war.
Wer da gearbeitet hat, der hat auch entsprechend Macht gehabt.
Dh. dass Jesus dezidiert den Tempel kritisiert, dass er auch sagt, ‚wir brauchen keinen Garizim, kein Jerusalem mehr, sondern es reicht im Geist und in der Wahrheit anzubeten'. Solche Töne oder dann sogar die Tempelaktion, dass er die Händler aus dem Tempel austreibt, das hat natürlich solche Tempelführungskräfte in hohem Maße provoziert.

Steinmann:
Worin besteht denn der Konflikt mit den römischen Verantwortlichen? Ist das ein Schauprozess oder gibt es Grund auch im Verhalten Jesu selber?

Zimmermann
Für Rom war alles ein Problem, was Unruhe hervorgerufen hat.
Und das war immer wieder der Fall. Es gab verschiedene Anführer von Aufständen, es gab die Zeloten, die Sikarierbewegung. Das würde man heute sagen, das waren Terroristen.
Insofern war ein Mensch, der Anhängerschaft hatte, vielleicht nicht ganz definierbar in seinem Anspruch, schon allein ein Grund, ihn aus dem Weg zu schaffen.
Wir können aber aus der Kreuzesinschrift noch eine detailliertere Angabe herauslesen. Dort heißt es: ‚Jesus von Nazareth, König der Juden.'
Dass also der Königsanspruch ein Titel war, der auch politische Macht im Hintergrund hatte. Das könnte die römischen Autoritäten provoziert haben. Insofern ein Eigeninteresse der Römer.

erzählte Be-Deutung

Steinmann:
Herr Professor Zimmermann, wir haben jetzt versucht uns ein Bild zu machen, das sich in der Hauptsache den neutestamentlichen Quellen verdankt. Wie verlässlich sind die? Wie lesen Sie die Quellen?

Zimmermann:
Quellen sind die einzige Basis, die uns überhaupt ermöglichen, Einblick in die Vergangenheit zu haben. Eine Zeitlang hat man diese Quellen gegen den Strich gelesen, würde ich mal sagen. In einer Hochphase historischer Kritik wollte man nicht die Quellen selbst verstehen und auswerten, sondern hat immer ‚hinter die Quellen' zurückgefragt. Mittlerweile ist die moderne Geschichtsforschung da wesentlich weiter gekommen. Wir wollen also nicht mehr sagen wie es eigentlich gewesen ist, sondern wir sollen sehen, dass diese Quellen -die Vergangenheit immer deutend- arbeiten.
Ein Theoretiker Hayden White sagt: 'Wir können nur die Fiktion des Faktischen wahrnehmen' dh. die Fakten sind immer schon in Erzählungen, in fiktionale Texte, eingebunden.
Das ist der Ansatz, mit dem ich auch Quellen lesen möchte: Sie beziehen sich auf vergangene Ereignisse, aber sie tun das in einem bestimmten Deutungsinteresse und das tun sie natürlich im Neuen Testament in einem theologischen Interesse. Sie in dieser Doppelausrichtung, als historische und zugleich als theologische Texte zu verstehen, ist glaube ich die richtige Weise, mit diesen Texte umzugehen.

Kreuz stiftet Sinn

Steinmann:
Herr Professor Zimmermann, was spricht Sie an, was prägt Sie an diesem Ereignis Tod Jesu?

Zimmermann:
Mich fasziniert, dass das Kreuz Jesu die Menschen schon der damaligen Zeit, aber bis heute eigentlich immer wieder angespornt hat, über Glauben nachzudenken. Es ist also auch ein Motor von theologischen Fragen. Ich würde nicht sagen, dass diese Fragen leicht zu beantworten sind, aber deswegen sind sie auch elementare und tief gehende Fragen.
ZB: Wie kann Gott das Leid zulassen? Hat Gott nicht die Macht gehabt einzugreifen? Oder braucht Gott einen Sohn, der stirbt? Das sind Fragen, die uns natürlich gerade, wenn wir leiden, zutiefst auch persönlich angehen.

Steinmann:
Wir haben vorhin festgestellt, dass eine Konfliktlinie, die zu diesem Urteil geführt hat an Jesus, die Tempelkritik gewesen ist. Ist das ein Punkt, der für uns auch noch eine aktuelle Bedeutung hat?

Zimmermann:
Ich würde sagen, das hat höchste Relevanz, weil hier Jesus stirbt, indem er sich hier mit einem religiösen, vor allem aber auch ökonomischen System angelegt hat. In dem Moment, in dem man den Menschen vor diese Systeme stellt und sagt
‚es ist wichtiger, dass einem Menschen geholfen wird, auch wenn gerade Sabbath ist', dann gerät man in Konflikt. Oder entsprechend, wer heute den Mund aufmacht in bestimmten ökonomischen Kartellen, der gerät auch in Konflikt. Insofern gibt es solche Fälle auch heute noch, dass Menschen die die Lebensfeindlichkeit von Systemen wahrnehmen und offen aussprechen, dass die aus dem Weg geschafft werden.

Steinmann:
Der Rekurs auf Jesus ist eigentlich ein Impetus, sich in solchen Konflikten heutzutage zu positionieren, also auch eine Verpflichtung für Christen und Kirchen.

Zimmermann:
Ja eine Ermutigung würde ich sagen. Denn, in der Tat, ist ja das Schicksal Jesu alles andere als ermutigend. Er hat sich angelegt und ist zunächst gescheitert. Aber er zeigt zugleich mit diesem Sterben, dass diese Ideen nicht getötet werden oder dass er, indem er aufersteht, zeigt, es gibt ein Leben, das weitergeht, das nicht den Systemen unterworfen werden kann. Es gibt darüber hinaus noch viele andere Aspekte, die uns motivieren und inspirieren können. ZB das Stellvertretungsmotiv.
Jesus stirbt stellvertretend für andere oder er handelt stellvertretend. Das ist erstaunlicherweise heute alles andere als veraltet. Ich sehe gerade auch an meinen eigenen Kindern, dass in der Fantasyliteratur dieses Stellvertretungsmotiv allgegenwärtig ist. Wir können bei Harry Potter oder Twilight Beispiele anführen, dass einer für andere eintritt und sogar das Leben lässt und gerade darüber sich Grundkonflikte lösen lassen.

Steinmann:
Das spielt an auf „für jemanden gestorben, für die vielen gestorben, für uns gestorben." Das ist kein theologischer Gedanke, der obsolet ist?

Zimmermann:
Das Problem, was sich ergibt, ist, dass es so floskelhaft gebraucht wird. ‚Jesus ist für meine Sünden gestorben', das sagt sich so schnell. In dem Moment wird die Tiefe, die hinter einem solchen theologischen Konzept liegt, verflacht. Das kann man nicht von andern einfordern, es nachzusprechen. Aber wenn Menschen, die im Leid stehen, aus der Deutung des Todes Jesu als stellvertretend für andere Trost und Sinn sehen können, dann hat es Sinnstiftungspotential.

Steinmann:
Was ist für Sie die Bedeutung dieses Karfreitages, das Sie am Tiefsten berührt?

Zimmermann:

Wir sollten uns auch in unseren Auseinandersetzungen mit Leid und Tod anregen lassen, sollten erkennen, dass Jesus symbolisch zeigt, wie der Tod überwunden werden kann, dass also der Tod nicht zu viel Macht gewinnt wie er teilweise durch Angst, durch Systeme über unser Leben gewinnt.
Die Bedeutung des Kreuzes können wir in den letzten Worten Jesu am Kreuz erkennen:
Im Markusevangelium zitiert Jesus den Psalm 22:
‚Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.'
Im Johannesevangelium lesen wir:' Es ist vollbracht.'
In dieser Spannung steht auch der Karfreitag: Auf der einen Seite der Aufschrei. Im Angesicht des Todes immer wieder an die Grenzen zu kommen, die Grenzen unseres Verstehens, auch die Grenzen unseres Gottesbildes oder unserer Gottesbeziehung.
Auf der anderen Seite aber auch die Erfahrung machen zu dürfen, dass im Angesicht des Todes auch tiefe Gotteserfahrungen möglich sind und im Johannesevangelium dieses Kreuz eine Sinnstiftung ist, die weit über das hinaus geht. ‚Es ist vollbracht', aber zugleich wird ja der Lieblingsjünger und  die Mutter Jesu als eine neue Beziehung zueinander gebracht.
Also es gibt Sinnstiftung, Beziehungsstiftung, die durch Tod möglich ist und das kann uns Hoffnung geben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12810
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