Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Am Karsamstag fällt mir regelmäßig eine Weihnachtsgeschichte ein, die nämlich vom Engel, der falsch gesungen hat. „Ehre sei Gott in der Tiefe" tönte er immer wieder im Chor der himmlischen Heerscharen, statt - wie vorgeschrieben - Ehre sei Gott in der Höhe, denn er wollte unbedingt besingen, dass Gott in die Tiefe gegangen ist, zu den Menschen. Heute läge der Engel richtig mit seinem Gesang - abgesehen davon, daß die Engel heute nicht singen dürfen, denn der Karsamstag gilt als der stille Tag des Kirchenjahres, der Tag der Grabesruhe Jesu zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung.
Aber es ist auch der Tag, an dem Christen einen nicht so bekannten Satz aus dem Glaubensbekenntnis festmachen: zwischen Karfreitag und Ostern ist Jesus „hinabgestiegen zu der Hölle" so hieß es früher im Glaubensbekenntnis, heute lautet die Formulierung „hinabgestiegen in das Reich des Todes". Dahinter steht der Glaube, daß Jesus auch gelebt hat und gestorben ist für die Menschen, die vor seiner Zeit auf der Erde waren, und daß er auferstanden ist für die Menschen aller Zeiten. Im 1.Petrusbrief im Neuen Testament heißt es: „er stieg hinab zu den Geistern im Kerker" (3,19), und Künstler stellen ihn dar beispielsweise mit Adam und Eva oder Abraham, wie er sie bei der Hand nimmt und in den Himmel führt.
Keiner weiß, was Jesus im Tod und nach dem Tod getan und erlebt hat. Aber die Vorstellung, daß er zu den Toten oder in die Hölle hinabgestiegen ist, sagt etwas über die Bedeutung seines Todes und seiner Auferstehung. Jesus begibt sich in die Welt des Todes und in die Welt des Bösen, der Verzweiflung, der Verdammnis. Er bringt Leben in die Welt, in der alles endgültig schien, festgelegt für immer und ewig. Ostern ist nicht bloß etwas für die, die das Glück hatten, erst nach ihm zu sterben, sondern das Leben, das von ihm ausgeht, ist so unwiderstehlich, daß es alle Zeiten und Räume umfasst. Wo jede Beziehung abgerissen schien, dahin geht er. Heißt das womöglich, daß von Gott her die Beziehung nie abgerissen war? Dass weder Tod noch Böses die Beziehung zum Gott des Lebens zerstören können? Hinabgestiegen in das Reich des Todes, abgestiegen zu der Hölle, zu Besuch bei den Geistern im Kerker - der Engel hat schon recht mit seinem „Ehre sei Gott in der Tiefe".

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12778
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