Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Wenn mir das Bedrückende des Todes besonders nahe rückt, schlage ich gern eines der Gebete von Gottfried Bachl auf. Er ist Theologe und Schriftsteller in Salzburg. Dieses Gebet lautet:

Schaust du den Toten
ins Gesicht, Gott?
Siehst du den wortlosen Mund,
der auch dich nicht mehr nennt?
So ist das Ende, das du ausgedacht hast für uns.
Wir wissen nicht aus noch ein, wenn wir das sehen.
Leih uns deine Augen, die überall
ins Leben blicken. 
(Gottfried Bachl, Mailuft und Eisgang. Wien 1998, 65)

Gottfried Bachl beschönigt den Tod nicht. Er sucht, welche Beziehung Gott zum Tod hat und zu den Toten. Ob Gott den Toten ins Gesicht schaut.  Das klingt fast wie ein Vorwurf: „Traust Du dich, Gott, den Toten ins Gesicht zu schauen?" Ich sehe hier aber auch einen Funken Hoffnung: „Kannst wenigstens Du, Gott, unseren Toten noch ins Gesicht schauen?" Und weiter fragt Bachl, ob Gott merkt, dass die Toten verstummt sind, dass sie auch zu ihm und von ihm nicht mehr sprechen. Und dann macht er ganz nüchtern Gott verantwortlich für unsern Tod so wie er ist. „So ist das Ende, das du ausgedacht hast für uns." Und er drückt genauso nüchtern seine, unsere Verzweiflung aus:„Wir wissen nicht aus noch ein."Doch dann kommt die Wende, die sein Gebet schon zu einem Ostergebet macht: „Leih uns deine Augen, die überall ins Leben blicken." Das ist ein umwerfendes Glaubensbekenntnis:„Du Gott blickst über all ins Leben, auch da, wo wir nur Tod sehen, auch da wo Tod ist." Da sieht Gott Leben. Die Bitte ist im Grunde ein Osterwunsch: „Leih uns deine Augen! Lass uns, lass mich überall ins Leben blicken! Laß mich in Abschied und Ende auch Neuanfang sehen. Lass mich eine Ahnung behalten, dass Unmögliches möglich sein kann. Gib, dass ich mich auf den Tod nicht festlege." Das ist Karfreitag: nüchtern den Tod sehen und nicht beim Tod stehen bleiben. „Leih uns deine Augen, die überall ins Leben blicken."

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