SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Wie viel Erde braucht der Mensch? So lautet der Titel einer Geschichte, die der russische Schriftsteller Leo Tolstoi geschrieben hat. Er schildert darin den unersättlichen Hunger des Bauern Pachom nach immer mehr Land. „Wenn ich genug Land hätte", sagt sich Pachom, „so fürchtete ich niemand, nicht einmal den Teufel!"
Also macht er sich auf die Suche in immer abgelegenere Regionen. Bis er zu dem gastfreundlichen Steppenvolk der Baschkiren kommt. „Du kannst soviel Land haben, wie du an einem Tag umrunden kannst", sagen sie ihm. „Nur, du musst abends wieder dort sein, von wo du aufgebrochen bist. Sonst verfällt der vereinbarte Kaufpreis."
Pachom geht los. Er läuft und läuft - ohne eine einzige Pause einzulegen. Kurz vor Sonnenuntergang ist er schließlich wieder am Ausgangspunkt. „Viel Land hast du gewonnen!", rufen die Baschkiren ihm zu. Pachom aber bricht in völliger Erschöpfung tot zusammen.
Sein Knecht, so heißt es am Ende, gräbt dem toten Pachom ein Grab. Genau so lang wie das Stück Erde, das er mit seinem Körper, von den Füßen bis zum Kopf, bedeckt. So viel Erde braucht der Mensch!
Tolstois Geschichte kreist um die Frage: Wann ist es genug? Was reicht aus zum Glück? Wo liegt das richtige Maß für meine Wünsche und Sehnsüchte? Und sie verschweigt nicht, dass es gefährlich wird, wenn die Gier das Steuer des Handelns übernimmt. Wenn uns das Maß abhanden kommt für das, was wir zum Leben brauchen.
Mich erinnert die Geschichte an eine Stelle im Buche Hiob, wo es heißt: Der Mensch wird nackt ins Leben geboren, und fährt ebenso nackt wieder dahin. Ein ähnlicher Gedanke stammt aus dem Neuen Testament: Denn wir haben nichts in die Welt gebracht; darum werden wir auch nichts hinausbringen, heißt es einmal.
Wenn er das bedacht hätte, wäre dem Bauern Pachom weniger genug gewesen. Längst besaß er ja, was zu einem erfüllten Leben gehörte. Was ihm allerdings fehlte: Bescheidenheit und eine realistische Selbsteinschätzung.
Ich denke, die Fastenzeit ist eine gute Gelegenheit, die eigenen Wünsche und Sehnsüchte auf den Prüfstand zu stellen. Und zu fragen, was ist das Kostbare an dem, was ich heute schon habe? An erfüllten Augenblicken, an kleinen täglichen Freuden, an Gemeinsamkeiten mit dem oder den Menschen an meiner Seite? Ist nicht alles Wesentliche, das ich zum Leben brauche, schon da?

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12641
weiterlesen...