SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Woher kommt die Lust an der Verkleidung? Warum lieben Menschen Maskierungen und Maskeraden?
Schon als Kinder haben wir gerne in Kleiderschränken und Kleiderkisten gestöbert. Und uns mit den dort gefundenen Textilien ein neues Aussehen verpasst. Der weiche Fuchspelz der Mutter, der Hut des Vaters, Handschuhe, die bis zum Ellbogen reichten, eine bunte Schürze. Das war alles recht, um sich für eine bestimmte Zeit in jemand anderen zu verwandeln.
Der Wunsch nach Verwandlung steckt in uns seit Kindesbeinen. Und manchmal darf er ganz offiziell heraus: in der Faschings- und Karnevalszeit. In diesem Wunsch verbirgt sich im Kern, und oft ironisch verfremdet, eine Sehnsucht. Die Sehnsucht, einmal jemand anderes zu sein. Wenigstens spielerisch auszuprobieren, was mir in der Routine meines Alltags versagt bleibt oder sogar verboten ist.
Dass diese Zeit äußerer Verwandlungslust der Fastenzeit vorausgeht, ist kein Zufall. Denn auch wer fastet, probiert ein anderes Leben aus, äußerlich, aber vor allem auch innerlich. Er legt Verhaltensweisen oder Eigenschaften ab, die unter normalen Umständen den Alltag prägen. Er oder sie lässt sein, was sonst üblich ist. Und verzichtet.
Neulich hatte ich die Gelegenheit, mit einer Gruppe von Schülern das Thema Verzicht zu diskutieren. Ein eher sprödes Thema für junge Leute, die gerade dabei sind, die Welt zu entdecken, dachte ich. Und war überrascht, wie positiv sie dieses Thema bewerteten. Natürlich, wer verzichtet, gibt etwas auf, das war allen klar. Dennoch, die Gewinne würden eindeutig überwiegen, meinten die Schüler.
Ich kann mich besser konzentrieren, sagte einer, wenn ich nicht versuche, überall mitzuspielen. Wenn ich mit meinem Freund zusammen bin, verzichte ich zwar während dieser Zeit auf alles mögliche Andere, aber unserer Beziehung tut das gut. Ich entdecke eher, was für mein Leben wichtig ist, war eine weitere Auskunft.
Die jungen Leute haben das richtig gesehen, denke ich. Was vordergründig als Verlust erscheint, erlaubt bei genauerem Hinschauen ein tieferes Eintauchen ins Leben. Da muss keiner erst mit der moralischen Keule kommen.
Denn es liegt auf der Hand: Verzichten bringt Gewinn. Einfach mal loslassen, was mich im Griff hat oder was ich für unverzichtbar halte. Auch wenn es Überwindung kostet. Neues zulassen. Und dabei unbekannte Seiten an mir entdecken. Oder solche, die lange verschüttet waren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12640
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