SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Auf nichts im Leben verzichten müssen, sich alles leisten zu können - wäre das nicht ein schönes Ideal? In der Werbung arbeitet man gerne mit diesem Versprechen. Abnehmen, aber auf nichts verzichten. Ein neues Auto anschaffen, aber auf nichts verzichten. Urlaub machen, aber auf nichts verzichten.
Suggeriert wird, alles kannst du haben! Alle Türen stehen dir offen. Verzichten ist altmodisch. Doch, wenn ich genau hinschaue, dann hat vieles, was ein Mensch im Leben erreicht, mit Verzicht zu tun.
Eltern, die Kinder haben, verzichten auf ein dickes Auto oder eine weite Reise, weil Kinder Geld kosten. Sind die Kinder dann groß und die Eltern alt, verzichtet manche Tochter und mancher Sohn auf ein Stück Freiheit, um Zeit für die Mutter oder den Vater zu haben.
Jede kulturelle Leistung beruht im Grunde auf Verzicht. Wer sich der schweißtreibenden Anstrengung eines Studiums oder einer Ausbildung ausgesetzt hat, weiß das. Schriftstellerinnen, die ein Buch schreiben. Ingenieure, die an einer Erfindung basteln. Mediziner, die eine unbekannte Krankheit erforschen.
Sie alle verzichten auf manche Annehmlichkeiten des Alltags, um hervorzubringen oder herauszufinden, was dann schließlich vielen Anderen zu Gute kommt: ein spannender Roman, ein neues Medikament, eine technologische Errungenschaft.
Im Verzicht stecken Kreativität und Innovation. Wo ich mich dem Taumel entziehe, im Supermarkt des Lebens jedes Sonderangebot ergreifen zu müssen, verflüchtigt sich der Schwindel in meinem Kopf. Kalorien, Konsum und Komfort verlieren an Wichtigkeit. Ruhe und Konzentration stellen sich ein. Und es gelingt mir eher, die wirklichen Prioritäten in meinem Leben zu erkennen.
Bevor Jesus in die Öffentlichkeit ging, so erzählt die Bibel, zog er sich für vierzig Tage in die Wüste zurück. Dort war er allein. Ganz allein mit sich und den wilden Tieren. In dieser Einsamkeit wurde er sich darüber klar, was seine Aufgabe im Leben war. Wo die Versuchungen lagen, die es zu meiden galt. Und was seine ganze Kraft und sein ganzes Engagement erforderte.
Es bedurfte dieser Auszeit, dieses Verzichtes, um zu erkennen, was das Leben wirklich ausmacht. Mich regt diese Erfahrung an, in der Fastenzeit vor Ostern an der einen oder anderen Stelle das Verzichten auszuprobieren. Um so Zeit und Spielräume zu gewinnen für das, was im normalen Getriebe zu kurz kommt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12639
weiterlesen...