Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Ein älterer Mann liegt in dem Krankenhaus, in dem ich arbeite. Bald wird er sterben und er weiß das. Er wirkt traurig und einsam. Zwar hatte er noch nie viele Kontakte. Aber jetzt ist da fast niemand mehr. Nur noch die Nachbarin. Und der Hund, der heiß geliebte Hund.
Der Mann ist sehr wortkarg und zeigt kaum Gefühle. Aber wenn jemand auf den Hund zu sprechen kommt, leuchten seine Augen auf.
Mit der Zeit wird immer deutlicher, dass er nicht mehr nach Hause zurück kann. Und das heißt auch: er kann nicht zu seinem Hund zurück.
Das Palliativteam - also die Leute im Krankenhaus, die sich um die Sterbenden kümmern - die überlegen, wie man ihm seinen sehnlichsten Wunsch erfüllen kann: den Hund noch einmal sehen. Nur - wie soll das geschehen, in einem Krankenhaus? Das Tier in sein Zimmer zu bringen, das ist schlicht unmöglich.
Sie überlegen und überlegen, bis ihnen schließlich der Gedanke kommt:
Wenn man den Hund nicht zu dem Mann bringen kann, dann könnte man doch den Mann irgendwie zum Hund bringen. Die Ärztin hält den Patienten bei der Stange: "Halten Sie durch, wir organisieren das!"
Und so kommt es zum Wiedersehen: Die Nachbarin bringt den Hund vor die Klinik. Und das Team bringt den Mann im Krankenbett vor die Tür. Ist das eine Freude! Der Hund springt wie wild auf seinem Bett herum und dem Mann laufen nur so die Tränen. Unentwegt stammelt er: „Ach, der Papi freut sich so, dass du da bist!"
Und alle drum herum freuen sich mit, weil es so ergreifend ist. Die Ärztin macht sogar ein paar Bilder zum Andenken.
Der Mann ist noch in derselben Woche gestorben. Daran konnte freilich auch das Wiedersehen nichts ändern. Aber ich bin sicher: er ist anders gestorben, denn er hatte noch ein paar glückliche Augenblicke mit seinem geliebten Hund. Und er konnte Abschied nehmen. Und bestimmt war es auch schon tröstlich für ihn, dass sich die Menschen um ihn solche Mühe gemacht haben. - Und - ist es nicht erstaunlich? Auch alle anderen, die an der Aktion beteiligt waren, waren hinterher ein bisschen glücklicher.

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