SWR2 Wort zum Tag

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Der Odilienberg. Südlich von Straßburg, thront er da. Fast 800 Meter hoch. Als letzter Vorsprung der Vogesen ragt er in die Rheinebene. Ein uralter Ort heilender Energie. Die Kelten siedelten da oben, von der Römerstrasse sind noch Reste erhalten, die sogenannte Heidenmauer umspannt mit ihren Riesenquadern das ganze Plateau. Und es ist eine uralte christliche Stätte.
Odilie, eine fränkische Herzogstochter, lebte dort. Noch heute stehen von ihrem Kloster einige Reste. Odilie war von Geburt an blind, so erzählt die Legende. Aber mit zwölf Jahren habe sie doch das Augenlicht geschenkt bekommen, just im Zusammenhang mit ihrer Taufe. Seitdem habe sie den Durchblick gehabt, nach außen und nach innen. Das ist natürlich voller Symbolik. Denn Taufe hat mit Erleuchtung zu tun, nicht nur um die physische Sehkraft geht es, auch um die Augen der Seele. Man sieht nur mit dem Herzen gut. Blindheit ist bis heute ein Thema. Immer Menschen hierzulande erkranken an Macula-Degeneration, einer Art Augenkrebs. Das Scharfsehzentrum im Auge, die Macula, verliert seine Kraft und Klarheit. Die ganze Außenwelt verschwimmt. Am Ende bleiben nur letzte Umrisse von Hell und Dunkel vor der großen Finsternis, wortwörtlich aussichtslos. Am Schlimmsten ist es, wenn auch die Augen der Seele krank werden; dann machen sich Resignation oder gar Verzweiflung breit. Die heilige Odilie steht für die Sehkraft des Glaubens. Und deshalb pilgern viele auf ihren heiligen Berg und bitten um Fürsprache. Neben der Kreuz- gibt es die Tränenkapelle. Da liegt ein ausgewaschener Sandstein. Der Legende nach habe Odilie da so viele Tränen vergossen. Sie ist offenkundig eine einfühlsame Frau, sie hat die Gabe der Tränen und des Mitgefühls wie Jesus selbst. Sie weiß aus eigener Erfahrung um die große Augennot und Sehschwäche. Und sie hat das dritte Auge des Glaubens, sie schaut die Dinge im Osterlicht, auch und gerade das Kreuz. Zaubern freilich kann sie nicht, und Gott auch nicht. Aber alle Wunder geschehen in der Nacht, in der Weihnacht. Der Odilienberg mit seinen Räumen des Gebets ist in der Tat ein heiliger Ort. Man kann, wenn man sehen darf, weit hinausschauen ins Rheintal. Man kann lernen, nach innen zu schauen und den Augen des Glaubens zu trauen. Man kann eine Ahnung bekommen von der Sehkraft des dritten Auges. Das sieht in der mickrigen Krippe Jesu den heruntergekommenen Gott. Das sieht mit dem Herzen gut. Selbst in der bitteren Macula-Erkrankung weiß es um die tröstende Kraft dessen, der Blinde heilt und alles neu sehen lässt, wunderbar getröstet.

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