SWR2 Wort zum Tag

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Zwei Wochen werkeln sie jedes Jahr im Advent. Die Krippenbauer in der katholischen Kirche St. Stephan in Gonsenheim. In dem Mainzer Vorort steht einer der größten Krippen weit und breit. Mehr als zehn Leute holen schon zwei Wochen vor Weihnachten Platten aus dem Keller, verkleben Stoffbahnen, verlegen 200 Meter Kabel. Sogar ein kleiner Wald rahmt die riesige Krippenlandschaft. Die Krippe ist groß und jedes Jahr gibt es andere Probleme. Mal tropfen die frisch gefällten Bäume und setzen die Kirche unter Wasser. Dann fällt die Elektrik aus und muss überholt werden. Aber einen Tag vor Heilig Abend spielt das alles keine Rolle mehr. Wenn fast 140 Figuren an ihrem Platz stehen und der Weihnachtsgeschichte ihr ganz eigenes Gesicht geben. Neben dem üblichen Krippenpersonal fallen in Gonsenheim vor allem ungewöhnliche Figuren auf. Tanzende Kinder, Ziegenböcke, die miteinander kämpfen, eine Magd mit einem Hahn unter dem Arm, viele Alltagsszenen aus dem Leben ganz normaler Leute. Es sind die Figuren und die Landschaft, die Jahr für Jahr Menschen anziehen. Und mehr noch sind es viele Geschichten, die aus der Krippe einen lebendigen Teil der Gemeinde machen. Geschichten wie die vom Pfarrer, der die Figuren persönlich in Österreich abholte und seine Gemeinde mit einem Elefanten überraschte. „Unsere Krippe", sagen viele Gonsenheimer - und stellen sich dadurch zu Hirten und Engeln, Holzfällern und Bäuerinnen. Sie werden Teil der Krippengesellschaft. Einer Gemeinschaft von Menschen, die sich auf ein neugeborenes Kind ausrichten. Das finde ich einen spannenden Gedanken. Die Welt kreist das ganze Jahr über um das Geld, um kleine und große Sorgen, um Gesundheit und Wetter, um Liebesglück und Erfahrungen des Todes. In der Welt der Krippe aber kreist alles um das Kind. Die normalen Regeln des Alltags spielen keine Rolle mehr. Die Welt richtet sich neu aus. Auf das Kind. Und genau darin sehe ich Gott aufleuchten. Mitten in einer Kirche am Rand von Mainz. Die Hoffnung, dass diese Welt eine menschliche Mitte besitzt. Dafür, finde ich, lohnt sich der große Aufwand, den die Gonsenheimer Jahr für Jahr betreiben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12118
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